Der große Traum, das große Ziel – Serena Williams und der Grand Slam

Bewundernd hatte sie stets zu Steffi Graf aufgeschaut. Jetzt kann Serena Williams selbst ihren Rekord einstellen – und den Grand Slam schaffen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 30.08.2015, 10:15 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus New York

Als Serena Williams kürzlichals „Über-Mächtige“ von Wimbledon ihren 21. Grand-Slam-Titel holte, gehörte Steffi Graf zu den ersten Gratulantinnen. „Unglaublich“ sei es, den Siegeszug und die Dominanz von Williams zu sehen: „Sie ist ohne Zweifel eine der größten Athletinnen aller Zeiten.“ Der Name Graf wird in den nächsten beiden New Yorker Wochen noch öfters zu hören und zu lesen sein, schließlich sind die Erfolgswege und -Bilanzen der deutschen Powerfrau und der jüngeren Williams-Schwester in den letzten Monaten und Jahren so nahe zusammengerückt, dass nun bei den US Open eine potenziell historische Mission bestaunt werden könnte.

Die Frage aller Fragen, die sich beim US-amerikanischen Grand Slam, dem „Major“-Rausschmeißer der Saison 2015, alle Welt stellt, liegt auf der Hand. Oder besser gesagt: in der Hand von Serena Williams. Gewinnt die 33-Jährige den Titel von New York, gewinnt sie noch viel mehr – nämlich den echten Grand Slam, alle vier Top-Pokale in einem Kalenderjahr. Etwas, das in der modernen Tennis-Ära bisher nur einer gewissen Steffi Graf geglückt ist, 1988, ganz früh in ihrer Ausnahmekarriere. „Es ist wohl die größte und schwerste Herausforderung, die es im Tennis gibt“, sagt Graf. Auch die lange Zeit uneinholbar scheinende Marke von 22 Grand-Slam-Titeln würde sich Graf mit einer US-Open-Siegerin Williams dann teilen – alles kein Problem für die niemals missgünstig gewesene Ausnahmespielerin. „Serena“, sagt Graf, „hätte es so sehr verdient. Ihre Karriere ist einfach beeindruckend.“

Williams und die Videos der stets bewunderten Steffi Graf

Vergleicht man die Laufbahn-Stränge von Graf und Williams, fällt eins vor allem auf: Während Graf sich nach vielen kleineren und größeren Verletzungen schon mit 30 Jahren vom Profisport verabschieden musste, durchaus zermürbt vom Tour-Geschäft, holte Wuchtbrumme Serena allein acht ihrer bisher 21 Grand-Slam-Trophäen jenseits der 30. Was ihr, der ehedem so kapriziösen und launischen Wettkämpferin, niemand zugetraut hat, ist eingetreten: Zur bestimmenden, alles überragenden Spielerin in der ganz späten Karrierephase zu werden – und damit auch zur Jägerin aller nur denkbaren Rekorde in der Branche, besonders jener Bestleistungen von Graf. „Die Konstanz von Steffi, ihre Top-Leistungen über eine ganze Saison – das habe ich früher immer bewundert“, sagt Williams, „unser Dad hat uns gerne Videos von ihr gezeigt.“

Grafs 1988er-Saison gilt noch immer als die beste Spielzeit, die es jemals im Frauentennis gegeben hat. Die Teenagerin verlor damals in 28 Grand-Slam-Matches gerade einmal zwei Sätze, in den Endspielen von Wimbledon (Navratilova) und den US Open (Sabatini), und holte sich im Oktober jenes Jahres auch noch die Goldmedaille in Seoul – aus dem Grand Slam wurde so der „Golden Slam“. Keiner vorher, keiner nachher gelang das außergewöhnliche Kunststück, auch nicht Navratilova,Billie Jean KingoderChris Evert. „Dass Serena jetzt als zweite Spielerin der Neuzeit diese Chance hat, zeigt ihre Qualität und Klasse. Aber auch, was Steffi damals erreichte“, sagt Evert, die bei den US Open aus nächster Nähe als TV-Expertin die Williams-Mission beobachten wird.

Auch durch Schicksalsschläge nicht aus der Bahn geworfen

Was die „Gräfin“ in ihren jungen Jahren und Williams in ihren späten Jahren verbindet: Auf der Höhe ihrer Kunst haben sie keine wirkliche Konkurrenz zu fürchten, drehen einsam als Zentralgestirn im Tennis-Universum ihre Bahn. Schlagen kann Williams in New York nur Williams selbst – mit labilen Nerven. In einem schwachen Moment, an einem schwachen Tag. Mit einem Blackout, den es immer mal wieder in ihrer denkwürdigen Karriere gab, so wie vor sechs Jahren, als sie im Halbfinale gegenKim Clijstersmit einem Strafpunkt das Match verlor. Einer Linienrichterin hatte sie angedroht, „den Rachen mit einem Tennisball zu stopfen“. Das sei in ihren „Flegeljahren“ gewesen, sagt Williams: „Über sowas bin ich hinweg.“

Ganz anderes hat sie in jüngerer Vergangenheit überstehen müssen: Schicksalsschläge in der Familie, persönlich aber auch die lebensbedrohliche Lungenembolie, die sie zwischen 2011 und 2012 für fast ein Jahr zur Pause zwang. „Um ehrlich zu sein: Manchmal wundert es mich, dass ich überhaupt noch im Tennis bin.“ Doch alles, was ihr passierte und was sie erlebte, hat eben auch ihre Sinne und ihr Bewusstsein geschärft. Und ihr klargemacht, dass alles, was sie einmal neben dem Tennis betrieb und was ihr wichtig schien, nicht mit der echten Liebe Tennis „gleichzusetzen ist“: „Mit der Erfahrung meines ganzen Lebens ist das jetzt klar für mich.“ Reif für den ganz großen Eintrag in die Geschichtsbücher ist sie allemal, die unverwüstliche Serena Williams.

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Sonntag
30.08.2015, 10:15 Uhr