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Mit 39 Jahren ins US-Open-Halbfinale

tennisnet.com blickt auf die legendären Festspiele von Jimmy Connors im Jahr 1991 bei den US Open in New York zurück.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 24.08.2016, 20:30 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel

Jimmy Connors ist zweifelsohne einer der besten Tennisspieler, die je auf diesen Planeten je gespielt haben. Der eigenwillige US-Amerikaner hält bis heute Rekorde, die für die Ewigkeit bestimmt sind, unter anderem die 109 ATP-Titel sowie 1256 Siege auf der ATP-Tour. Was "Jimbo" bei den US Open 1991 aber geleistet hat, ist fast genauso hoch zu bewerten wie seine acht Grand-Slam-Siege. Mit 39 Jahren erreichte Connors bei den US Open das Halbfinale und nahm die Zuschauer mit auf eine emotionale Reise. tennisnet.com blickt auf seinen unglaublichen Lauf und auf ein Stück Sportgeschichte zurück.

Connors braucht Wildcard und fesselt ein Millionenpublikum

Für die "lebende Legende" Connors ist es im Jahre 1991 die 21. Teilnahme bei seinem Lieblingsturnier. Fünfmal konnte der zu diesem Zeitpunkt "Noch-38-Jährige" in New York triumphieren. Dabei gelang ihm das Kunststück, die US Open auf drei unterschiedlichen Belägen zu gewinnen - auf Rasen, Sand und ebenso auf Hartplatz. Um überhaupt in New York dabei zu sein, ist Connors auf eine Wildcard angewiesen. Der US-Amerikaner ist nur noch die Nummer 174 in der Welt und bei einer bescheidenen Bilanz von 9:9 in jenem Jahr.

Ein Jahr zuvor spielte er aufgrund einer Operation und einer Handgelenksverletzung nur drei Matches, die er allesamt verlor. Aber die Veranstalter sind gnädig mit dem einstigen "Bad Boy", der auf seine späten Tage zum absoluten Publikumsliebling mutiert, und geben ihm eine Wildcard. Es ist eine goldrichtige Entscheidung. Denn in den kommenden zwei Wochen gibt Connors dem Begriff "zeitlos" eine neue Definition, haucht dem Tennissport neue Energie ein und fesselt auch Millionen von Tennislaien an den Fernseher.

Beginn der großen Connors-Show gegen McEnroe

Alles beginnt mit seinem Erstrunden-Auftritt unter dem Flutlicht des Louis Armstrong Stadium gegen Landsmann Patrick McEnroe - dem jüngeren Bruder seines Erzrivalen John McEnroe. Connors ist beim Stand von 4:6, 6:7 (4), 0:3 und 0:40 schon so gut wie ausgeschieden bei seinem Lieblingsturnier. Doch dann beginnt die große Jimmy-Connors-Show, die elf Tage lang die gesamte Sportwelt in Erstaunen versetzt und die Medien zu Lobliedern veranlasst.

Connors hält sich im Spiel, verkürzt auf 1:3, schafft das Break zum 2:3 und wehrt nochmals zwei Breakbälle zum 2:4 ab. "Jimbo" holt sich tatsächlich Satz drei mit 6:4 und kämpft McEnroe in den Sätzen vier und fünf mit 6:2, 6:4 nieder. Um 1:35 nachts in New York ist nach 4:18 Stunden die zweite Runde erreicht. "Das Publikum hat für mich gewonnen", sagt Connors nach der Flutlicht-Schlacht mit McEnroe.

39. Geburtstag mit Achtelfinale gegen Krickstein

Wer denkt, dass dieses Fünfsatzmatch die Kräfte von Connors komplett raubt, sieht sich vollends getäuscht. In den nächsten beiden Runden spaziert der US-Amerikaner mit zwei fulminanten Dreisatz-Siegen gegen Michiel Schapers (6:2, 6:3, 6:2) und dem an zehn gesetzten Karel Novacek (6:1, 6:4, 6:3) nahezu mühelos in das Achtelfinale. Es ist nicht nur ein Achtelfinale, sondern eines der besonderen Art.

Am 2. September 1991 feiert Connors seinen 39. Geburtstag - am Labor Day, dem Tag der Arbeit in den USA - und hat eine Verabredung mit dem Schicksal. Der Gegner auf der anderen Seite des Netzes an seinem Ehrentag ist Aaron Krickstein. Zwar geht Connors mit einer 5:0-Bilanz und einem vernichtenden Sieg (6:3, 6:2, 6:0) gegen seinem Landsmann wenige Wochen zuvor in Wimbledon in das Match, doch der leichte Favorit ist der 15 Jahre jüngere Krickstein, da dieser in der ersten Runde Andre Agassi in drei Sätzen aus dem Turnier kegelte und an die Form vergangener Tage anknüpft.

Ausraster und Satzausgleich im Tiebreak

Die ehemalige Nummer sechs der Welt beginnt auch gut und holt sich mit einem Break den ersten Satz mit 6:3. Der zweite Satz gleicht einer Achterbahn der Gefühle. Connors führt bereits mit 5:1, kann aber den Sack nicht zumachen. Krickstein spielt sich zurück und es geht in einen hoch dramatischen Tiebreak. Bis zum 7:7 vergeben beide jeweils einen Satzball. Dann kommt es zu einer kniffligen Szene. Ein Schmetterball von Connors geht vermeintlich auf die Linie. Doch der Ball wird vom Schiedsrichter David Littlefield Aus gegeben, 8:7 für Krickstein.

Connors ist außer sich vor Wut und beschimpft den Schiedsrichter. "Ich bin 39 Jahre alt und reiße mir hier den Hintern auf, und du machst so etwas. Verschwinde aus dem Stuhl!" Connors wehrt den Satzball gegen sich aber ab und zeigt immer wieder abfällig auf den Schiedsrichter. Es kommt noch besser für ihn. Er macht auch die nächsten beiden Punkte und gewinnt den Tiebreak mit 10:8. Mehr als zwei Stunden sind gespielt, als Connors und das Publikum den Satzausgleich frenetisch feiern.

Connors wütet weiter gegen Schiedsrichter: "Du bist eine Missgeburt"

Die Euphorie des Satzgewinns nimmt das Geburtstagskind auch zunächst mit in Satz drei. Das Break zum 1:0 bleibt aber der einzige Spielgewinn für Connors in diesem Satz. Die Luft scheint raus beim US-Amerikaner. Im vierten Satz schlägt "Jimbo" aber zurück, kürzt die Ballwechsel immer wieder ab und geht für seine Spielweise ungewohnt häufig ans Netz. Ein Break reicht schließlich zum erneuten Satzausgleich. Der fünfte Satz wird wieder dramatisch. "Ich fühle mich besser, als ich aussehe. Sorgt euch nicht. Es ist in Ordnung", witzelt Connors in die Kamera, als er das Spiel zum 2:2 macht.

Seine Laune verschlechtert sich aber die nächsten Minuten, als Krickstein das Break zum 4:2 realisiert. Das Spiel wird immer hochklassiger. In einem 17-minütigen Aufschlagspiel von Krickstein mit 23 Punkten verpasst Connors aber das Rebreak zum 4:3. Stattdessen legt sich der Heißsporn wieder mit dem Schiedsrichter an, als dieser ein weiteres Mal einen engen Ball von ihm Aus gibt. "Du bist eine Missgeburt. Wir spielen hier seit 3:50 Stunden. Was machst du eigentlich hier?", giftet Connors und kassiert dafür nicht mal eine Verwarnung. Das 5:2 für Krickstein nach diesem endlos langen Spiel scheint die Entscheidung zu sein.

High Noon im fünften Satz mit Happy End für das Geburtstagskind

Connors steckt aber nicht auf, rennt wie ein 20-Jähriger und holt sich das Break zum 4:5. Jeder Punktgewinn wird nun ausgiebig mit seinen üblichen Jubelgesten und vielen Aufwärtshaken, die an einen Boxer erinnern, gefeiert. Wenig später kommt es zum "High Noon": Tiebreak im fünften Satz, den es nur bei den US Open gibt. "Dafür sind alle gekommen. Das ist, was alle wollen", schreit Connors vor dem Tiebreak in das Fernsehmikrofon. Der US-Amerikaner gleicht einem Energiebündel und stürmt bei jeder sich bietenden Gelegenheit ans Netz - mit Erfolg. Das Minibreak zum 3:1 transportiert er bis zum 6:4. Zwei Matchbälle für Connors.

Er schlägt auf, stürmt sofort ans Netz, setzt einen Vorhand-Volley in die Ecke und schließt mit einem Rückhand-Volley ab. Spiel, Satz und Sieg nach epischen 4:41 Stunden für Connors, der sich damit selbst das schönste Geburtstagsgeschenk macht. Der Sieger und das Publikum toben vor Ekstase. "So ein Match mit 7:6 im fünften Satz zu gewinnen, dafür lebe ich!", sagt der euphorisierte Connors. Die 20.000 Zuschauer im Louis Armstrong stimmen "Happy Birthday" für den 39-Jährigen an, der damit das 17. Viertelfinale bei seinen letzten 18 US-Open-Teilnahmen erreicht. Überragend!

Horrende Schwarzmarktpreise bei Night Session gegen Haarhuis

Die Show von und mit Jimmy Connors geht also weiter. Im Viertelfinale betritt er wie gewohnt mit seinem neongelben Schläger und der Goldkette um den Hals wieder die große Bühne. Sein Gegner ist der Niederländer Paul Haarhuis, der in der dritten Runde den topgesetzten Boris Becker glatt aus dem Turnier nahm. Es ist Night Session in New York. Viele Leute, die keine Karte bekommen haben, sind bereit, mehr als 500 US-Dollar auf dem Schwarzmarkt für das Connors-Spektakel zu bezahlen.

Dem Märchen droht aber ein abruptes Ende. Haarhuis breakt gleich zu Null, führt schnell mit 5:1, sichert sich Satz eins aber erst mit 6:4. Auch im zweiten Satz läuft alles für den Niederländer, der das Break zum 5:4 realisiert und zu einer 2:0-Satzführung aufschlägt. Haarhuis führt mit 30:15. Die Wahrscheinlichkeit, dass Connors einen 0:2-Satzrückstand dreht, ist aber sehr gering. Doch zwei schnelle Punktgewinne bringen dem US-Amerikaner einen Breakball und die Chance, in das Match zurückzukommen.

Unfassbarer Ballwechsel des Jahres sorgt für den Wendepunkt

Was folgt ist nicht nur der Ballwechsel des Spiels, sondern auch der Ballwechsel des Turniers und des gesamten Tennisjahres. Ein magischer Ballwechsel, der zum Synonym für das Stehaufmännchen Connors während dieser US Open wird. Diesen zu beschreiben, ist in Zeiten von Videos überflüssig. Hier kommt also der 23-sekündige Ballwechsel (sowie der Punkt davor), der das gesamte Louis Armstrong Stadium und die Millionen Zuschauer vor den Fernsehern zum kompletten Ausrasten bringt.

Der spektakuläre Punktgewinn und das damit verbundene Break zum 5:5 ist der Wendepunkt im Match. Haarhuis ist ziemlich von der Rolle und Connors dreht mächtig auf. Im Tiebreak holt sich der 39-Jährige den Satzausgleich und lässt im weiteren Verlauf keine einzige Breakchance mehr gegen sich zu. Mit 6:4 und 6:2 gewinnt Connors die nächsten beiden Sätze und zieht als zweitältester Spieler überhaupt ins Halbfinale (sein 14. insgesamt) der US Open ein. Das Connors-Märchen erreicht damit seinen Höhepunkt.

"Die elf erinnerungswürdigsten Tage meine Karriere"

Im Halbfinale ist die Luft dann aber raus. Connors verliert deutlich mit 3:6, 3:6, 2:6 gegen die damalige Nummer vier der Welt, Jim Courier. Das Märchen ist abrupt beendet, aber die Herzen gehören einzig und allein dem unterlegenen James Scott Connors. "Dieses Turnier hat mir die elf erinnerungswürdigsten Tage meiner Karriere gegeben. Besser als meine Titel", kommentiert er später sein Abschneiden während dieser denkwürdigen US Open 1991. Es war wirklich Magie, die elf Tage lang in Flushing Meadows in New York in der Luft lag. Vielen Dank, "Jimbo", für die Gänsehautmomente und ein großes Stück Sportgeschichte!

von Christian Albrecht Barschel

Mittwoch
24.08.2016, 20:30 Uhr