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US Open: Struff stellt sich dem neuerlichen Duell mit Djokovic – „Ich gehe raus im Glauben, dass ich es packen kann“

Jan-Lennard Struff braucht nicht lange, um die Angelegenheiten in der Tenniswelt zu erklären. Auch, was Novak Djokovic angeht, den Besten der Welt, hat Struff eine kurze Analyse parat: „Ein irre guter Spieler, unfassbar zäh. Er kann dich verrückt machen. Er bringt ja fast jeden Ball zurück.“

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 04.09.2020, 08:06 Uhr

Jan-Lennard Struff bei den US Open
© Getty Images
Jan-Lennard Struff traut sich auch gegen Novak Djokovic einen Sieg zu

Am Freitag trifft Struff (30), die deutsche Nummer zwei, den Capitano beim Grand Slam-Turnier in New York wieder, erst letzte Woche hatte er ihm als Verlierer gegenüber gestanden, beim Cincinnati-Masters, das auch im Big Apple ausgetragen wurde. Nun also die US Open, und leider spielt sich das Wiedersehen des Riesen mit dem schillernden Nummer-eins-Mann schon in der dritten Runde ab. „Irgendwie eine dumme Sache“, sagt Struff (ATP 29), der deutsche Überraschungsprofi der letzten beiden Jahre, „aber ich gehe raus im Glauben, dass ich es packen kann.“

Struff war nicht immer von so viel Selbstbewusstsein erfüllt. Aber neben seinem früheren Phlegma und einer guten Spur Genügsamkeit hat der 196-Zentimeter-Turm aus Warstein auch die falsche Bescheidenheit auf dem langen Weg nach oben zurückgelassen. Struff weiß, was er kann. Und er versteckt seine Ambitionen auch nicht. „Das Gefühl, die Gewissheit, jeden der Jungs da draußen schlagen zu können, habe ich mir hart erkämpft“, sagt Struff. In New York kann er sozusagen auf Schritt und Tritt spüren, wohin es ihn in seiner Arbeitswelt getragen hat. Als gesetzter Spieler bewohnt Struff eine abgeschiedene Suite auf dem Centre Court, ein kleines Refugium, das ursprünglich dem Sponsor „New York Times“ und seinen Gästen zugestanden hätte. „Eine tolle Sache“ sei das, sagt Struff, „Kühlschrank, Massagebank, Sofa, Kaffeeautomat, alles ist da.“ Ganz nebenbei kann er aus erhabener Höhe auch die Matches im Ashe-Stadion verfolgen, die Partien der Großen und Starken und Prominenten.

Kohlmann: "Er ist ein anderer Spieler geworden"

An diese Elitegruppe hat er sich in den letzten beiden Jahren selbst immer weiter herangespielt. Langsam und beharrlich ging es immer weiter nach vorne, mit unglaublich viel Trainingsaufwand, mit hohem körperlichen Einsatz, mit dem Drang, jede Übungseinheit optimal ausnutzen zu wollen. „Hey, das reicht nicht mehr“, habe er sich innerlich mal zur Ordnung gerufen, sagt Struff, „du kannst nicht happy sein, wenn du mal eine Runde bei einem Topturnier gewinnst, wenn du nur gut aussiehst bei großen Matches.“ Gemeinsam mit Coach Carsten Arriens feilte der ehrgeizigere Struff nicht nur akribisch an seinem Spiel, sondern auch an seiner Haltung, an der Einstellung zu seinem Beruf. Motto: Keine Angst vor großen Namen. Und: 100 Prozent Einsatz, in jedem Spiel, in jeder Sekunde. „Mächtig“ habe Struff an Statur gewonnen, sagt Davis Cup-Chef Michael Kohlmann, „er ist ein ganz anderer Spieler geworden. Auch, weil er mit viel mehr Dynamik und Emotionen agiert.“ Längst ist aus „Struffi“, dem etwas belächelten Riesen, Struff geworden. Einer, dem man vor allem nicht mehr nachsagen muss, er mache das Mögliche unmöglich.

Struff, den auch seine Rolle als frischgebackener Vater reifer gemacht hat, leistet sich nur noch ganz selten grobe Fehltritte auf der Wandertour der Tennisnomaden. „Er gewinnt das, was er gewinnen muss als Topspieler. Und sorgt auch für Überraschungen gegen noch stärkere Rivalen“, sagt DTB-Herrenboss Boris Becker, „er holt wirklich das raus, was geht.“ Struff hat ziemlich effizient an ein paar Stellschrauben gedreht, um seine Karriere noch einmal zu beschleunigen. Sein Aufschlag war schon immer gut, seine wertvollste Waffe. Aber seit ein, zwei Jahren fürchten die lieben Kollegen sein Service noch viel mehr, Breaks gegen den Hünen sind weitaus seltener geworden. 2019 knallte er 668 Asse ins gegnerische Feld, mit 80 Prozent seiner ersten Aufschläge erzielte er auch einen Punktgewinn. Gleichzeitig profitierte er als Alleinkämpfer vom guten Angriffsspiel, das er sich als einer der weltbesten Doppelakteure erworben hat: „Wenn ich am Netz auftauche, gucken viele komisch aus der Wäsche.“

Djokovic zeigt sich gewarnt

Für Struff waren die Monate des Stillstands keineswegs nur ein Verlust. Er hatte viel Zeit für die Familie, für Söhnchen Henri und für seine Freundin Madeleine. Als das Training mit Sondergenehmigung am Bundesstützpunkt in Kamen wieder erlaubt war, „klotzte“ er mit seinem Lehrbeauftragten Arriens „mal so richtig rein“: „Ein Mörderprogramm war das. Da hab´ ich viel Substanz aufgebaut.“ Vor langen, überlangen Matches hat er keine Bange, nicht in New York, nicht anderswo. 

Djokovic zeigt sich trotz makelloser 4:0-Gewinnbilanz angemessen gewarnt vor dem Deutschen, dem er nun schon zum dritten Mal bei den letzten fünf Grand Slams begegnen wird: „Wenn du nicht hellwach bist, kann er dich mit dem mächtigen Service und den mächtigen Schlägen schwer unter Druck setzen.“ Und Struff selbst, der Mann, auf dessen Baseballkappe der Spruch „Niemals aufgeben“ aufgedruckt ist? Er will dem Favoriten nicht nur „ordentlich einheizen“ in dieser spektakulären dritten Runde, sondern auch den letzten, entscheidenden Punkt holen: „Das wäre der Wahnsinn dann.“

Hier das Einzel-Tableau der Männer bei den US Open

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von Jörg Allmeroth

Freitag
04.09.2020, 12:25 Uhr
zuletzt bearbeitet: 04.09.2020, 08:06 Uhr

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