Vagabund Gojowczyk als Überraschungsmann der Saison
Keiner hat 2014 mehr Matches gewonnen: Der 24-Jährige ist auf steilem Weg nach oben und will daran bei den Australian Open anknüpfen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
12.01.2014, 16:25 Uhr

In der Zweiten Liga des Welttennis hat Peter Gojowczyk im letzten Jahr so manch exotischen Schauplatz besucht. Er war im französischen Quimper, er war im mexikanischen San Luis Potosi, im kalifornischen Tiburon. Und dann auch noch in Prostejov in Tschechien und in Ortisei in Italien. Gojowczyk war einer jener unverdrossenen Vagabunden dieses Sports, die für bescheidenen Lohn gewaltige Strapazen und Entbehrungen auf sich nehmen, einer jener talentierten Spieler, die sehnsuchtsvoll auf den Durchbruch ins große Tennis der ATP-Tour warten, auf den Klick-Moment, auf die Initialzündung, die alles verändern möge. Einmal in jenem Jahr 2013 schien es fast so weit, als Gojowczyk bei den US Open drei Qualifikationsrunden überstand, in der ersten Hauptrunde dann sehr überraschend den aufstrebenden Niederländer Igor Sijsling schlug und gegen den Russen Evgeny Donskoy kurz vor einem weiteren Grand-Slam-Sieg war. Doch er verlor in fünf Sätzen, und danach tauchte der bescheidene Bursche aus dem bayrischen Eisenhofen wieder weg in die Anonymität, zurück in jenen Unterbau der Tennisbranche, der ganz ohne Glitzer und Glamour auszukommen hat.
Die wundersame Verwandlung des Peter G.
Aber in einer Tennisepoche, in der sich der Karrierehorizont selbst von Ausnahmespielern immer weiter nach hinten verschiebt und viele erst Mitte 20 in die Weltspitze preschen, ist er nun auf einmal doch da - mit einiger spielerischer Macht, großer Schlagpower und einer neuen Aggressivität und Leidenschaft im Geiste. Jener Peter Gojowczyk, über den sein Trainer Lars Uebel sagt: „Er war oft zu schnell zu sehr zufrieden. Aber jetzt hat er diese Gier, die es braucht, um sich in diesem Geschäft ganz vorne zu behaupten." Sind sie vorbei, die Zeiten des „Mister Nice Guy" auch auf den Tennisplätzen der Tour? Gojowczyk, der bisherige deutsche Überraschungsmann der Saison und Australian-Open-Starter, lässt jedenfalls Taten und Ergebnisse sprechen, so wie nie zuvor in seiner Karriere. Kaum einer in der Riesen-Karawane der Profis hat seit Saisonbeginn 2014 mehr Matches gewonnen als der Oberbayer (9), der selbst spürt, dass sich da gerade eine Verwandlung vollzieht: „Ich merke, dass mehr Kraft und Selbstbewusstsein in mir stecken." Man kann es auch ganz platt darlegen: Gojowczyk, der beim Grand-Slam-Spektakel in New York letzten Herbst noch um ein Autogramm von „Matador" Rafael Nadal bettelte, ist zu einem Spieler geworden, der inzwischen aller Aufmerksamkeit und Konzentration eines Nadal bedarf. Bei den Qatar Open in Doha spielte Gojowczyk das Match seines bisherigen Tennislebens, gewann den ersten Halbfinal-Satz gegen die Nummer eins und gab sich erst nach drei dramatischen Akten geschlagen. Hinterher sagte Nadal: „Von diesem Jungen wird man noch einiges hören."
Uebel: „Mit der Nettigkeit ist es jetzt vorbei"
Gojowczyk ist für einen wie Coach Uebel einerseits stets ein Musterschüler gewesen, „höflich, zuvorkommend, immer angenehm im Umgang." Doch er beklagte auch, dass sein Schützling diese Attitüde nicht ganz ablegen konnte, wenn es hart auf hart ging im Tennisgeschäft, in den Mann-gegen-Mann-Duellen: „Da fehlte ihm manchmal der letzte Wille nach Mehr, diese Bereitschaft, seine Limits zu testen." In der tennisfreien Zeit zwischen den Spielzeiten 2013 und 2014 redeten sie viel im Team Gojowczyk, zu dem auch ein bekanntes Gesicht gehört - der ehemalige Weltklasse-Hochspringer Carlo Thränhardt, der als Konditionstrainer, aber auch als Mentalcoach wirkt. Fakt ist: Mit der Nettigkeit auf dem Centre Court ist es jetzt vorbei, stattdessen beobachtet Trainer Uebel wohlgefällig eine „ganz andere Aggressivität und Entschlossenheit" des 24-Jährigen: „Wenn er das beibehalten kann, ist er einen Tick besser als viele." Platz 50 der Weltrangliste als mittelfristiges Ziel hält Uebel nicht für eine Utopie, „da kann er sich durchaus schon mal aufhalten."
Spielt „Gojo" mit Hanescu Jojo?
Schon einmal begann die Karriere eines Spätstarters im Golfemirat Katar so richtig, nämlich die von Rainer Schüttler im Jahr 1999. Der unbekannte Nordhesse gewann damals sogar den Titel - mit Siegen u.a. gegen Andrei Medvedev, Cedric Pioline, Goran Ivanisevic und Tim Henman. Schüttler war seinerzeit die Nummer 124 der Welt, ein ähnliches Terrain wie jenes, auf dem sich gerade Gojowczyk (135) bewegt. Die Qualifikations-Tücken in Melbourne hat Gojowczyk schon mal mit atemraubender Sicherheit überstanden, in drei Partien gab der vom erfahrenen Manager Stefan Wechselberger betreute Newcomer nur 15 Spiele ab. Bei der Erstrundenpartie am Dienstag gegen den Rumänen Victor Hanescu werden sie auch daheim in Bayern alle mitfiebern mit „Gojo", wenn der vielleicht Jojo spielt mit einer der etablierten Tour-Kräfte. Mutter Maria und Vater Reinhard haben sich eigens ein TV-Paket besorgt, um auf Ballhöhe mit dem Sohn zu bleiben, natürlich auch in der Nacht. Und in Melbourne hat es Gojowczyk inzwischen aufgegeben, alle Glückwünsche zu registrieren, die auf ihn einprasseln: „Das Handy musste ich wirklich abschalten."