Rückzug als Anfang vom Karriereende

Es ist unklar, ob die US-Amerikanerin noch mal zurück auf die Tour kommen wird.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 01.09.2011, 09:14 Uhr

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Von Jörg Allmeroth


New York - Es war kurz vor fünf Uhr abends, als Venus Williams am Mittwoch in den Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions einen unscheinbaren Privatraum des US-Tennisverbands betrat. Als sich die Tür schloss, war auch der warnende Schriftzug klar zu erkennen: „Bitte anklopfen und vor dem Eintreten auf eine Antwort warten.“ Doch in diesen schicksalhaften Minuten, kurz nach dem verletzungsbedingten Rückzug von den US Open, gab es keine Antworten und keine Besucher, die in das kleine Rückzugsrevier eingelassen wurden. Venus Williams blieb allein mit ihren engsten Vertrauten und ihrer Familie – so lange, bis draußen vor dem Eingang zum Spielerzentrum ein grauer Van des Transportservice mit verspiegelten Fenstern vorfuhr und die aus dem Gebäude hastende Starspielerin in die Häuserschluchten von Manhattan chauffierte.

Die symbolbeladene Szene im Billie Jean King-Tenniszentrum könnte nicht weniger als der Anfang vom Ende einer grandiosen Karriere sein - der Karriere von Venus Ebony Starr Williams, einer Athletin, die einst zur Jahrtausendwende das Koordinatensystem ihres Sports neu justierte und zur ersten dominierenden Spielerin in der Ära nach Steffi Graf wurde. Denn als die ältere der beiden Williams-Schwestern den Schauplatz der Offenen Amerikanischen Meisterschaften verließ, verbreiteten sich gerade die ersten Schockwellen nach ihrem Grand Slam-Zwangsabschied in ihrem Heimatland und rund um den Globus. „Ich bin am Sjögren-Syndrom erkrankt, einer Autoimmun-Krankheit, die zu Erschöpfungszuständen und zu Schmerzen führt und die meinen Energielevel beeinträchtigt“, stand in einem persönlichen Statement der 31-jährigen geschrieben, nach dem Verzicht auf die Zweitrunden-Partie gegen die deutsche Himmelsstürmerin Sabine Lisicki. Sie sei froh, „endlich eine Diagnose bekommen zu haben“, so Williams, „jetzt hoffe ich, dass ich bald wieder auf die Tennisplätze zurückkehren kann.“

"Das ist eine schlimme Nachricht"

Doch am unzweifelhaften Tiefpunkt eines einzigen Horror-Jahres war das nur eine schwache Hoffnung für die hünenhafte Athletin, die einst neue Standards für Fitness und Kraft im Tennis definierte. Denn das Sjögren-Syndrom kann nicht nur zu einer eingeschränkten Tränen- und Speichelproduktion führen, sondern in weiteren Stadien der nicht heilbaren Krankheit auch zu diversen Gelenkentzündungen und sogar zu Schädigungen an Organen wie der Lunge und den Nieren. „Das ist eine schlimme Nachricht. Ich fühle mich wie vor den Kopf geschlagen“, sagte die ehemalige Weltranglisten-Erste Chris Evert, die bei den US Open für den Fernsehsender ESPN im Einsatz ist, „ich habe große Zweifel, ob Venus noch einmal als bedeutende Kraft ins Welttennis zurückkehren kann.“ Schon nach dem verpatzten Wimbledon-Turnier, bei dem sie in der vierten Runde gegen die Bulgarin Pironkova ausgeschieden war, hatte die ältere Williams-Schwester noch vage über eine Krankheit gesprochen, „die mir irgendwie die Kraft raubt.“ Doch die endgültige Diagnose der Ärzte ließ auf sich warten, platzte erst hinein ins laufende Grand Slam-Turniers in New York.

Der Rückzug Mitte der ersten Grand Slam-Woche kam für die Fachwelt gleichwohl überraschend - zwei Tage nach einem Erstrunden-Sieg, bei dem Williams, so das „Wall Street Journal“, gewirkt hatte „wie eine Spielerin, die mit 31 Jahren wiedergeboren war.“ Doch der souveräne Erfolgsauftritt gegen die Russin Wesna Dolonts hatte der siebenmaligen Grand Slam-Siegerin offenbar schon wieder so zugesetzt, dass ein weiteres Match gegen Lisicki schlichtweg nicht mehr möglich war. Nach dem Einspielen unter Wettkampfbedingungen auf den Trainingscourts nahe des Ashe-Stadions folgte jedenfalls am Mittwochnachmittag das Aus – sehr zur Verwunderung von Gegnerin Lisicki, die Williams noch in ihrem offiziellen Spieldress gesehen hatte, nicht lange vor dem angesetzten Matchbeginn. „Mir hat erst ein Schiedsrichter gesagt, dass sie nicht spielen kann“, so die Berlinerin, „ich bin aus allen Wolken gefallen. Das war schon ein Schock. Ich wäre aber viel lieber gegen sie angetreten, in diesem tollen Stadion vor 20.000 Zuschauern.“

Vielleicht das letzte Mal im Mittelpunkt

Nach dem Verletzungsdrama um Schwester Serena, die in den vergangenen Monaten mit einer mysteriösen Schnittwunde am rechten Fuß und mit einer gerade noch rechtzeitig entdeckten Lungenembolie für gebührendes Drama gesorgt hatte, rückte nun also, wenn auch unfreiwillig, vielleicht ein letztes Mal Venus Williams in den Mittelpunkt der Tennisdebatten. „Cinderellas aus dem Ghetto“ hatte Daddy Richard Williams seine beiden fabelhaften Töchter Venus und Serena einst genannt, und spätestens in den Jahren 2000 und 2001 begann das Williams-Märchen seine ganze Magie zu entfalten – Wimbledon und die US Open gewann Venus da mit einer Selbstverständlichkeit, die einem den Atem raubte. 2000 siegte sie auch noch bei den Olympischen Spielen im Einzel – und an der Seite von Serena im Doppel. Noch drei weitere Male gewann sie auf dem heiligen Rasen des All England Club, zwischendrin schien die Ausnahmeathletin und Nummer 1 der Welt so gut wie unschlagbar beim Turnier der Turniere. Doch bald übernahm Schwester Serena das Kommando auf den großen Centre Courts, eine Spielerin, die mit noch viel größerem Ego und Ehrgeiz ausgestattet war als die ältere Schwester. Die widmete sich fortan auch anderen Interessen, entwarf Mode und zeichnete Häuser, wurde im Tennis eher zur „millionenschweren Teilzeitarbeiterin.“

Eine Gefahr für die Konkurrenz blieb sie stets bei ihren sporadischen Auftritten, in den letzten Jahren einer stets verblüffenden Karriere. Doch 2011 war für Venus Ebony Starr Williams, die einstige „Queen von Wimbledon“, schon lange vor dem US-Open-Schock ein einziges Missvergnügen, eine lähmende Ansammlung von Frusterlebnissen, von Absagen und Absagen und Absagen. Mit einem Rückzug hatte die Saison bereits begonnen, bei den Australian Open war vor dem Drittrundenspiel gegen Andrea Petkovic Endstation. Fast ein halbes Jahr Zwangspause folgte, wegen Knie- und Hüftverletzungen, die nun in einem ganz anderen Licht erscheinen. Für die beiden Rasenturniere in Eastbourne und Wimbledon kehrte sie kurz zurück, danach aber spielte der Körper wieder nicht mit. Als sie zu den US Open kam, hatte Williams gerade elf Spiele bestritten - ein Beleg des körperlichen Verfalls.

Auf einen Platz jenseits der 100er-Grenze wird sie nun zurückfallen nach den US Open. Und damit so tief stehen wie zuletzt 1996, als sie gerade begann, die große, weite Tenniswelt zu erobern. „Sie hat fast alles erreicht, was es im Tennis zu erreichen gibt“, sagte am Mittwoch die große Martina Navratilova, „das Wichtigste für sie ist jetzt, diese verdammte Krankheit in den Griff zu kriegen.“ Es klang, ungewollt und zutreffend, wie ein Abschied von der Sportlerin Venus Williams.(Foto: GEPA Pictures)

von tennisnet.com

Donnerstag
01.09.2011, 09:14 Uhr