Die perfekte Allianz von Petzschner und Melzer

Phillip Petzschner ist nach dem Sieg im Doppel-Finale von Wimbledon, dem größten Erfolg seiner Karriere, überglücklich.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.07.2010, 12:01 Uhr

Von Jörg Allmeroth

London. Er gehört keiner Königs- und keiner Adelsfamilie an. Er ist auch kein Politiker, kein Filmstar oder Verbandsboss. Und doch stand Philipp Petzschner am Abend des 4. Juli plötzlich auf dem exklusivsten Fleckchen Boden, das die Tenniswelt kennt: In der Royal Box von Wimbledon, über dem heiligen Centre Court-Rasen und irgendwie auch völlig losgelöst von aller irdischen Schwerkraft. „Es war ein Moment wie im Traum. Das vergisst du dein Leben lang nicht“, sagte Doppelchampion Petzschner, als die Siegerehrung in diesem ganz besonderen VIP-Areal vorüber war, die kurze, aber feine Zeremonie für den gemeinsamen Triumph mit seinem österreichischen Partner Jürgen Melzer.

Ungesetzt, aber unwiderstehlich beim Marsch zum Titel: Wimbledon erlebte ein prächtiges Sommermärchen für Zwei - für dick befreundete Tennisprofis, die sich beim Pärchenbetrieb auf den Grüns entschlossen zum sensationellen Erfolg durchschlugen und im Finale beim 6:1, 7:5, 7:5 gegen die Kombination Robert Lindstedt/Horia Tecau (Schweden/Rumänien) mit beinahe irritierender Siegesgewissheit aufspielten, „ein bisschen wie im Rausch“, wie Petzschner hinterher bekannte.

Wimbledon 2010 markierte so auch eindeutig eine neue Entwicklungsstufe im Leben des Tennisspielers Philipp Petzschners, eines Mannes, der einst die Etiketten Hallodri, Luftikus, Leichtfuß trug und schon als „ewiges Talent“ abgeschrieben wurde. Der aber nun als erster männlicher DTB-Spieler nach Michael Stich (1992/Doppelsieg mit John McEnroe) in die ehernen Wandtafeln des All England Club aufgenommen wurde, sozusagen in die Ruhmeschronik Wimbledons. „Da werde ich noch stolz und zufrieden draufblicken, wenn ich gar keinen Schläger mehr halten kann“, sagte Petzschner, „vieles ist flüchtig in diesem Geschäft, auch viele Siege. Aber Wimbledon-Champion bleibst du immer.“ Um dann auch für das obligatorische Champions Diner am Sonntagabend gerüstet zu sein, lieh sich Petzschner schnell noch einen Smoking von den Klubverantwortlichen: „Das will ich nun richtig edel genießen.“

Nach genau 117 Minuten öffnete Petzschner mit einem seiner messerscharfen Passierbälle die Tür ins Tennisparadies, der brillant gespielte Matchpunkt war der krönende Geistesblitz einer perfekten Partnerschaft – Rechtshänder Petzschner und Linkshänder Melzer standen wie eine Wand gegen alle Konkurrenz, hatten ihre Hände überall, wo es brenzlig war. Vier Hände eben für ein Halleluja. „Wir sind einfach zwei gute Tennisspieler, bei denen alles zusammenpasst“, sagte Melzer, der beim Doppelengagement ebenso sehr wie Petzschner auch von zuletzt starken Einzelauftritten profitierte. Melzer war bei den French Open im reifen Alter von 29 Jahren erstmals in ein Grand Slam-Halbfinale eingezogen, Petzschner hatte bei den Gerry Weber Open auch die Vorschlussrunde erreicht und in Wimbledon gegen Rafael Nadal erst nach fünf schwer umkämpften Sätzen klein beigeben müssen.

„Das ist die beste Zeit meines Tennislebens“, sagte Petzschner später, „du spürst einfach, dass es läuft, dass die Steine des Puzzles sich zusammenfügen.“ Als er oben in der Königsetage stand, bei der Überreichung der „Gentlemens Doubles Trophy“, da spürte Petzschner nicht nur ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und Genugtuung, sondern auch den Hunger auf mehr: „Alles, was hier passiert ist, bestätigt mir, dass ich ein guter Tennisspieler bin. Einer, der seine besten Jahre noch vor sich hat.“

Mit Tränen in den Augen war Petzschner schon in die Royal Box marschiert, in diesem womöglich prägendsten Moment einer Achterbahn-Karriere, die er einst als Becker-Bursche im Junior-Team des Tenniskanzlers aus Leimen begonnen hatte. Weil ihm seine Familie zunächst wichtiger war als Ruhm und Reichtum auf den Centre Courts der Welt, tourte er zunächst nur als Doppelspieler und dazu in der Zweiten Liga der Branche herum. Und so erschien es auch wie milde Ironie des Schicksals, dass Petzschner gerade jetzt, wo er als Solist so richtig auf Touren gekommen war und sogar Kurs auf die Top 20 oder Top 10 nahm, im Doppel den Hauptpreis der ganzen Saison einstrich: „Ganz ehrlich: Ich hätte diesen Sieg nicht mal zu träumen gewagt“, sagte der Bayreuther, der inzwischen in Pulheim nahe Köln mit seiner Verlobten Dewi und Sohn Aziz lebt.

Die vielleicht einmalige Chance auf Grand Slam-Titelehren nutzte Petzschner wie auch Partner Melzer mit erfrischender Unbekümmertheit, mit Nervenstärke und einer zupackenden Attitüde, die ihre Gegner regelrecht überrumpelte. „Wir waren von der ersten Sekunde hellwach da, haben uns die normale Nervosität gleich weggespielt“, sagte Petzschner. Erst zu Saisonbeginn hatten sich der Bayer und der Wiener zum regelmäßigeren Spiel verabredet, dicke Freunde waren sie da aber schon längst. „Es hilft ungemein, wenn man sich so toll versteht. Denn dann kannst du auch Fehler auf dem Court leichter verzeihen“, sagte Melzer. Anfang letzter Woche war der Ösi sogar bei Petzschner eingezogen, in dessen angemietetem Haus in Wimbledon. Zum Finale wurde die WG dann sogar noch größer, als Petzschners Verlobte und Melzers Freundin wieder nach London reisten. „Wir hatten eine superentspannte Zeit“, sagt Petzschner, den manche seiner Kumpel auch heute noch gern „Picasso“ nennen, „wahrscheinlich weil ich für sie der Typ zwischen Genie und Wahnsinn bin.“

Doch seine Verrücktheiten lebt er wenigstens im Profitennis nur noch spärlich aus, in den letzten anderthalb Jahren auf der Tour hat er jäh an Klasse und Reife gewonnen – mit dem Höhepunkt eines langen sportlichen Aufschwung in Wimbledon, bei den Offenen Englischen Meisterschaften 2010. Und an einem Samstag, der perfekter nicht hätte sein können, oben in der Royal Box. Denn der Herzog von Kent, der Chef des All England Club, informierte den Fußballfreak Petzschner auch noch ganz nebenbei, dass da in Südafrika ein gewisses Spiel mit 4:0 für Deutschland ausgegangen sei: „Was willst du eigentlich noch mehr verlangen“, sagte Petzschner hinterher, „das gibt jedenfalls eine mordsmäßige Feier jetzt.“(Foto: J. Hasenkopf)



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Sonntag
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