Wie dich deine Nervosität blockiert

Was wenn es wirklich haarig wird? Habt ihr eure Nerven im Griff? Tennis-Insider Marco Kühn verrät, wie ihr in schwierigen Situationen die Ruhe behalten könnt.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 13.05.2020, 07:42 Uhr

Nick Kyrgios hat seine Nerven nicht immer im Zaum
© GEPA Pictures
Nick Kyrgios hat seine Nerven nicht immer im Zaum

Du schubst deine Vorhand im Turnier aufgrund deiner Nervosität nur irgendwie ins T-Feld?
Und: Du bekommst einen Zitterarm, wenn du gegen einen schwächeren Gegner bei 4:4 im ersten Satz servieren musst? Das Momentum könnte auf die Seite deines Gegners plumpsen und nie wieder zu dir zurückfinden.

Das Problem ist nicht dein Gegner oder die Geschichte deines Matches.

Du blockierst dich im Kopf, weil du dich permanent schlechter redest, als du eigentlich bist. Deine Gedanken kreisen ausschließlich um deine Rückhand, welche deine absolute Schwachstelle ist. Deine Gedanken werden zu Pinseln, die das schlimmste Szenario auf den Sandplatz malen, was du dir vorstellen kannst.

Als Mentaltrainer habe ich in den letzten Jahren mit zahllosen Spielern aus so gut wie allen Leistungs- und Altersklassen gesprochen. Das Thema Nervosität betrifft nicht jeden, aber viele Spieler. Und wie schon damals in der siebten Klasse im Geschichtsunterricht gilt: Wissen ist Macht.

In diesem Artikel gebe ich dir drei Schritte mit auf den Schläger, wie du dich komplett selbst zu einer Niederlage denken kannst. Diese Schritte sollen dir zeigen, wie es nicht geht. Ertappst du dich demnächst bei einem dieser Schritte, dann setze genau dort an, hole tief Luft und konzentriere dich auf das, worauf du Einfluss hast. Dies kann dein nächster Return, dein nächster Aufschlag oder dein nächster cleverer Schachzug in den Ballwechseln sein.

Auf deine Nervosität hast du nämlich keinen Einfluss. Diese ist da, sie wird niemals verschwinden und es gibt auch keinen geheimen Zaubertrank, der diese je wegspülen wird. Du musst lernen mit deiner Nervosität produktiv umzugehen. Das ist dein Ziel. Und dies ist auch direkt der erste Schritt, um dich bequem zu einer Niederlage zu denken.

#1 Du kämpfst gegen deine Nervosität an

Kennst du unsere Vorfahren? Sie mussten sich mit Speer und Mut auf die Suche nach Nahrung machen. Damals gab es noch keinen Lieferservice von Burger King. Dementsprechend schlecht sind wir heutzutage in Bezug auf unsere Nervosität und Angst trainiert. Das Gegenteil regiert heute. Wir werden nervös, wenn der Lieferwagen fünf Minuten zu spät kommt.

Unsere Vorfahren mussten dagegen echte Gefahren überstehen, um essen zu können. Dabei half ihnen ihre Nervosität. Wenn sich ein Bär aufbäumte und mit den riesigen Tatzen fauchend vor ihnen stand, dann war ihre Nervosität das beste Werkzeug, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Unsere Vorfahren kamen dann in einen, wie wir es heute nennen, Fokus:
"Lauf ich nach links ins Gebüsch, um dann von der Seite zu attackieren?"
Oder:
"Kletter ich lieber auf den Baum, um die Situation abzuwarten?"
Sie kamen in die Handlung. Action. Zack. Bumm!

Und was machen wir heute, wenn wir nervös sind? Wir lassen uns vom Bär fressen. Wir wollen dieses so tolle Werkzeug, welches unsere Vorfahren für ihr Überleben verwendet haben, einfach ins Gebüsch werfen.

Ist das verrückt? Das ist verrückt.

#2 Du kannst ja nur verlieren

Meist bist du nervös, wenn du gegen einen auf dem Papier schwächeren Spieler spielst. Sollte es dann auch noch eng werden im Match, dann geht im Kopf und auf dem Court nichts mehr.

Die Symptome lauten:
- akutes ins T-Feld spielen
- verkrampfter Aufschlag
- viele Unforced Error

Dein inneres Mantra sagt: "Herrje, wenn ich ehrlich bin und so in die Gesichter am Spielfeldrand gucke ... Ich kann ja nur verlieren! Selbst wenn ich siege, werden sie denken: 'Wie kann der nur gegen so einen SO spielen?'" In einem solchen Gedankengang steckt eine ganz wichtige Message. Diese gesamte Aussage besitzt einen entscheidenden Kern, den sich dein Unterbewusstsein ganz genau einprägt. Dieser Kern ist das, was dein Geist auszuführen versucht.

Der Kern lautet: "Ich kann ja nur verlieren ..."

Viele Spieler, ich hoffe du nicht, unterschätzen die Macht der Selbstgespräche im Kopf. Dabei sind es doch genau diese Gedanken, die deine Leistung auf dem Court stark beeinflussen. Meinst du Roger Federer denkt so, wenn er gegen einen Underdog den ersten Satz verloren hat: "Oh je, die Mirka, sie legt schon wieder die Stirn auf ihre Unterarme und verdreht die Augen ... Was mag sie nur denken? ... Oh man ... Ich kann ja nur verlieren! Ich sollte besser aufhören mit dem Tennis ..."

Ich kenne Roger nicht persönlich, und er wirkt immer recht cool. Aber ich haue mir mit meinem Yonex-Racket dreimal vor mein Schienbein, sollte er in einem Match nicht pausenlos zuversichtlich, aufbauend und motivierend zu sich selbst sprechen.
Nutze einmal die Disney-Technik (eine Mentaltraining-Technik) und male ein Bild von dir selbst in Gedanken, wenn du total nervös auf dem Platz stehst und versuchst dich zu deinem Aufschlag zu stellen.

Wie wirkst du auf dich selbst? Zuversichtlich? Aufbauend? Motivierend?

Falls nicht, dann weißt du jetzt, woran du arbeiten kannst.

#3 Der Gegner wächst über sich hinaus

Du bist sensibel, wenn du vor Nervosität kaum zu deiner im heimischen Club eigentlich gefürchteten Vorhand ausholen möchtest.

Du reagierst extrem sensibel auf jeden guten Schlag des Gegners. Das kann so weit gehen, dass zwei Vorhände mit ordentlich Topspin gespielt in dir das Gefühl erwecken, dass du gegen die junge Version von Rafael Nadal spielst.

Wie aus dem Nichts, wie ein Rückhand-Slice von Geisterhand zwei Zentimeter über die Netzkante geschupft, besitzt du eine Erklärung für deine unglaubliche Nervosität. Du hast einen Gegner erwischt, der genau heute sein bestes Tennis spielen wird.

Was passiert dann?

Entspannen dich die guten Schläge deines Gegners? Bist du motiviert und im Fokus, so wie unsere Vorfahren damals, als sie vor dem großen, braunen und hungrigen Bär standen?
Vermutlich nicht. Du knickst mental noch mehr ein. Dein Puls rast, obwohl du dich nur auf der Stelle bewegt und eine zu kurze Vorhand gespielt hast. Und erneut ist auf dem Platz nichts passiert. Alles fand in deinen Gedanken statt. Du hast es geschafft dich vollkommen von deiner Nervosität einnehmen zu lassen.

Akzeptiere deine Nervosität für das, was sie ist: ein tolles Werkzeug, welches dir helfen möchte. Je stärker du dich gegen sie wehren willst, desto schlechter wirst du spielen.

von Marco Kühn

Mittwoch
13.05.2020, 15:50 Uhr
zuletzt bearbeitet: 13.05.2020, 07:42 Uhr