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Wimbledon 2022: Taddes Tennis, Serenas Fuhrpark, Richards Buchladen - ein kleiner, auch subjektiver Rückblick

Das Wimbledon-Turnier 2022 ist fast zu Ende - was bleibt hängen? Einiges. Ein paar Eindrücke.

von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet: 10.07.2022, 12:01 Uhr

Tatjana Maria, Jule Niemeier
© Getty Images
Tatjana Maria, Jule Niemeier

Man fühlt sich als Reporter vor Ort dann doch oft underdressed. Es liegt freilich an einem selbst, aber auch am restlichen Publikum. Denn nur ein Bruchteil kommt über die Queue rein, es sind vielleicht rund 10.000 Zuschauer pro Tag von gut 40.000. Den Großteil davon sieht man am "Henman Hill" oder in Schlangen vor den wenigen Tribünen auf den Außenplätzen. Den Rest stellt die feine Gesellschaft Londons, freilich im feinen Zwirn./

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Speziell auf Centre Court und Court 1 ist der ganz große Großteil mit den feinen Herrschaften besetzt. Man erkennt es, wie gesagt, an der Kleidung. Aber auch an Plopp-Geräuschen während der Ballwechsel, wenn gerade eine Flasche Schampus geköpft worden ist. Wir wissen es nicht, aber die Vermutung liegt nahe: Es ward kein billiger.

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Billig ist auch das Pimm's nicht, das sowohl die feinen Herrschaften als auch das Fußvolk gerne süffelt. Knapp 9,75 Pfund kostet ein Becher, die Schlangen sind trotzdem lang.

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In der Queue war übrigens weniger los als üblich. Normalerweise sollte man spätestens gegen 5 oder 6 Uhr anstehen, um zumindest ein Ground Ticket zu ergattern und um 11 Uhr auf der Anlage zu sein. Diesmal wäre wohl noch ein Stündchen Schlaf mehr drin gewesen. Ob es an der Vorsicht bezüglich Corona lag oder weil Publikumslieblinge wie Roger Federer, Andy Murray oder Serena Williams nicht dabei oder früh ausgeschieden waren? Für Tickets auf Centre Court und Court 1 musste man aber dennoch früher raus - oder tatsächlich ein Zelt mitbringen.

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Schön isse übrigens, die Anlage hier, wen wundert's. Halt voll. Ändert sich vielleicht in ein paar Jahren, wenn Wimbledon ausbaut - dann soll auch der Golfplatz gegenüber zum Turnier gehören.

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Apropos Serena. Am "Middle Sunday" fand ja die 100-Jahr-Feier zum Bestehen des Centre Courts statt, die großen Legenden waren alle da, sogar Roger Federer hat sich herbegeben. Unter den Fehlenden: Pete Sampras, Andre Agassi und Steffi Graf (leben ja allesamt sehr zurückgezogen), Boris Becker (lebt aktuell zurückgezogen) und Martina Navratilova (war an Corona erkrankt). Und: Serena Williams. Was wunderte, sie hatte schließlich gespielt. Der Grund, wie die britische Times herausgefunden haben wollte: Serena habe sich die fünf Shuttles für sich und ihren für zwei Wochen erbeten (normal sind ein, maximal zwei Shuttles bis 24 Stunden nach Ausscheiden aus dem Turnier). Hat der All England Club offenbar nicht mitgemacht. Serena besuchte statt der Feier dann lieber das Rolling-Stones-Konzert im Hyde Park.

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Ach ja, die Feier kann man sich ruhig mal anschauen.

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Wimbledon, das muss man ihm lassen, ist ja komplett im Tennisfieber. Das erlebt man in und außerhalb der Geschäfte, speziell in "Wimbledon Village". Fast alle Läden sind tennismäßig dekoriert, in den typischen Wimbledon-Farben (grün, lila), mit Bällen und Schlägern. Und zwar durch die Bank, teils ist kaum zu erkennen, welche Berufung welches Geschäft hat - vom Maklerbüro bis zum Klamottenladen oder Hundesalon.

© tennisnet

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Was in London immer wieder begeistert: die Freundlichkeit. Sowohl der Wimbledon-Mitarbeiter, als auch der restlichen Menschen. Tür aufhalten hat hier oberstes Gebot, auch wenn der nächste Interessent zum Durchqueren noch kaum in Sichtweite ist.

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Mal zum Tennis. Das Match des Turniers, es war vielleicht sogar aus objektiver Sicht das zwischen Tatjana Maria und Jule Niemeier. Beide erstmals im Viertelfinale eines Majors, und beide mit einem extrem wunderbar variablen Tennisspiel. 119 Mal (!) tauchten die beiden am Netz auf, dazu gab's viel Slice, Stopp und Lob. Herrlich anzuschauen. Und die Standing Ovations der Zuschauer auf Court 1 sprachen für sich. Die Highlights sollte man sich im Übrigen auch anschauen.

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Stichwort Fairplay, das gab's in diesem Maße auch zwischen Tatjana Maria und "Tante" Ons Jabeur. Und vielleicht haben die Kollegen Kyrgios und Tsitsipas ja zufällig zugeschaut!? Das dieses Match vor allem wegen deren Streitigkeiten und Tsitsipas' Verzweiflung hängenbleibt, ist schade. Denn auch das war tolles Tennis!

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Jabeur ist ohnehin ein solch großer Gewinn fürs Tennis. Die Pressekonferenzen mit ihr? Sind hochamüsant. In Tunesien wird sie als "Minister of Happiness" bezeichnet, und das sei auch deshalb lustig, sagte sie, weil die aktuelle Premierministerin sie deshalb auch mit "Hallo, Ministerin" anspreche. Toll auch Jabeurs Reaktion nach den Medienverpflichtungen im Anschluss an das verlorene Finale: Da stiefelte sie einfach die Treppe runter, um sich bei ihren Fans zu bedanken, und schrieb Autogramme.

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Immer einen Besuch wert: Die "Tennis Gallery Wimbledon", rund 20 Gehminuten von der Anlage entfernt. Es ist DER Tennisbuchladen überhaupt, von außen unscheinbar, von innen eher klein. Aber wer Richard Jones, den großartigen Besitzer, fragt, darf nach oben ins "Chaos". Uralte Bücher, alte Bücher, extrem alte Bücher, alte und mittelalte Turniermagazine, alte Zeitschriften, alte Postkarten und noch mehr alte Bücher. Und wenn man "alt" durch "historisch" ersetzt, schlägt das Tennisherz aber ganz doll. Gut möglich, dass auch ein tennisnet-Reporter dieser Tage seine Anna-Kournikova-Sammlung fröhlich erweitert hat. Richard verschickt übrigens auch, schaut mal nach unter www.tennisgallerywimbledon.com!

von Florian Goosmann aus Wimbledon

Sonntag
10.07.2022, 14:46 Uhr
zuletzt bearbeitet: 10.07.2022, 12:01 Uhr