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Wimbledon: Cori Gauff - ein modernes Tennis-Märchen

Mit ihrem Einzug in das Achtelfinale von Wimbledon 2019 hat Cori Gauff die Fans und die Fachwelt des Tennissports gleichermaßen begeistert. 

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 07.07.2019, 09:38 Uhr

Wie weit geht die Wimbledon-Reise 2019 für Cori Gauff?
© Getty Images
Wie weit geht die Wimbledon-Reise 2019 für Cori Gauff?

Von Jörg Allmeroth aus London

Der Moment hat sich eingebrannt ins Gedächtnis von Cori („Coco“) Gauff, sie wird ihn wahrscheinlich nie vergessen. Es war nach ihrer allerersten Trainingseinheit im All England Lawn Tennis Club, auf den Übungscourts im Aarongi Park, als sich der Teenagerin ein kleiner Junge näherte. Höflich bat der Knirps um ein Autogramm, Gauff schrieb es auf einen der gelben XXL-Tennisbälle und wünschte ihm noch viel Spaß in Wimbledon. Dann marschierte Gauff mutterseelenallein und unerkannt ins Spielerzentrum zurück.

Eine Woche später hat sich das Leben der 15-jährigen Amerikanerin auf den Kopf gestellt, weil sie selbst Wimbledon auf den Kopf gestellt hat. Einen solch vertrauten Augenblick wie mit dem einzelnen, ganz jungen Fan wird es wohl nicht mehr geben. Drei atemraubende, dramatische Siege auf dem Tennis-Grün, der sensationelle Sprung ins Achtelfinale beim traditionellen Saison-Höhepunkt – Coco ist auf einmal der neue Superstar, das Wunderkind der stets nach frischen, unverbrauchten Gesichtern lechzenden Branche. Wenn die Himmelsstürmerin, die erstmals überhaupt in Wimbledon antritt, nun über die Wege des Rasenreichs schreitet, sind stets breitschultrige Bodyguards an ihrer Seite, die fürsorgliche Begleitung ist im allgemeinen Hype auch dringend nötig. „Es sieht so aus, als wollte jeder ein Stück von Coco abhaben“, sagt US-Legende Chris Evert, „sie ist von Null auf Hundert in die Höhe geschnellt. Das ist der absolute Wahnsinn.“

Für John McEnroe das größte Thema in den USA

Die Begeisterung rund um Gauff, die sich als jüngste Spielerin der Moderne durch die Qualifikation ins Hauptfeld schlug, kennt gerade keine Grenzen mehr. Buchstäblich. „Sie ist das große Thema in ganz Amerika, rund um die Welt“, sagt Ex-Superstar John McEnroe, „jeder redet über sie. Und nicht über Federer und Co.“ Als der US-Sportsender ESPN am Wochenende eine Highlightshow über die erste Wimbledon-Woche ausstrahlte, drei Stunden lang, waren zweieinhalb Stunden allein Gauff gewidmet, der Rest der Tenniswelt wirkte wie ein Spalier für die 15-jährige Hauptperson. „Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das zuletzt erlebt haben. Vielleicht bei Agassi oder den Williams-Schwestern“, sagt Lindsay Davenport, eine ehemalige Nummer eins-Spielerin, die 1999 Wimbledon gewann. 

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Wie anziehend das Tennis-Märchen der unwiderstehlich fightenden Amerikanerin ist, illustrierten auch die Einschaltquoten in England selbst: Gauffs imponierendes Comeback in der dritten Runde, nach zwei abgewehrten Matchbällen gegen die Polin Polonia Hercog, sahen mehr Menschen auf der Insel als das Reizduell zwischen Nick Kyrgios und Rafael Nadal oder jedes andere Match. Schon Gauffs Erstrunden-Knockout von Wimbledons einstiger Rasenkönigin Venus Williams hatte Topwerte erreicht. „Sie hat das gewisse Etwas. Spiele mit ihr sind Drama, stets unberechenbar“, sagt BBC-Chefmoderatorin Sue Barker, selbst einmal eine Größe auf den Centre Courts. „Going Loco with Coco“, titelte am Wochenende das Revolverblatt „Sun“ über die 15-jährige, frei übersetzt: verrückte Zeiten mit Coco. Wobei das sogar komplett richtig sein könnte, schließlich beantwortete die Newcomerin die Frage, wie sie eigentlich vom Typ her sei, so: „Immer ein bisschen seltsam und albern, etwas abgedreht.“

Patrick Mouratoglou - Gauff die nötige Zeit geben

Verrückt genug auch, dass Gauff bei ihrem abenteuerlichen Entfesselungsakt in Runde drei schon auf dem Centre Court ans Werk gehen durfte – während gleichzeitig Titelverteidiger und Nummer-Eins-Mann Novak Djokovic auf Court 1 gegen den Polen Hubert Hukarcz kämpfte. „Die Nummer 313 der Rangliste auf dem Hauptplatz, es zeigt, wie sehr Coco die Herzen der Leute erobert hat, wie attraktiv ihre Ausstrahlung ist“, sagte da Trainerguru Patrick Mouratoglou, in dessen südfranzösischer Akademie Gauff seit dem zehnten Lebensjahr immer wieder zu Gast ist. Wohin das alles einmal führen wird mit Gauff, darüber ist sich Mouratogolu schon im Klaren: „Sie ist die potenzielle Leaderin für das Frauentennis“, sagt der Coach, „aber man muss ihr die nötige Zeit geben und nichts überstürzen.“

Wie es scheint, haben Gauffs Eltern allerdings ihre Hausaufgaben gemacht. Die Euphorie rund um ihre Tochter trifft sie alles andere als unvorbereitet. Corey Gauff, der Vater, und Ehefrau Candi haben sich schon länger mit den Karrieren anderer sogenannter Wunderkinder beschäftigt, mit Martina Hingis, Maria Scharapowa oder, naheliegend, den Williams-Schwestern Venus und Serena. „Wir achten ganz penibel darauf, dass Coco nicht verheizt wird. Es gab genügend Fälle von Spielerinnen, die nach einem kometenhaften Aufstieg schnell die Lust am Tennis verloren“, sagt Daddy Gauff, ein ehemaliger Basketballspieler. 

Federer-Manager Godsick im Hintergrund

Vater und Mutter haben ihre Rollen auch ganz bewußt getrennt, mit Vater Gauff als sportlichem Lenker und Mutter Gauff als - Mutter. „Zu mir soll sie mit allen Problemen kommen, die Mädchen in ihrem Alter haben“, sagt die frühere Leichtathletin und Turnerin. Die typischen Tenniseltern, sagt Candi Gauff, „sind wir sicher nicht.“ Aber vor einem ekstatischen Jubel nach dem Drittrunden-Coup der Tochter war auch Mama Gauff nicht gefeit, ihr Twisttanz in der Spielerbox machte sie rasch zum globalen Internet-Phänomen.

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Als Supervisor für das Familienunternehmen Gauff steht zudem auch Tony Godsick bereit, der Manager, der seit vielen Jahren schon die geschäftlichen Angelegenheiten von Roger Federer in der Hand hält. Godsick ist einer der Erfahrensten in der Szene, er ist vor allem keiner, der auf das schnelle Geld, auf frühe Profitmaximierung aus ist. Mit 13 nahm Godsick die Teenagerin als Klientin in sein Team8-Unternehmen auf, was die Geschäfte angeht, musste er sowieso nie fordernd, bittend oder bettelnd in Erscheinung treten. Gauff galt schon länger als das „Next Big Thing“, als kommende Nummer eins. Inzwischen belagern potenzielle Sponsoren den smarten Business-Mann, aber der tritt bewußt auch auf die Bremse: „Es kann viel passieren in einer Karriere. Aber sie ist auf einem sehr, sehr guten Weg. Und sie spielt toll hier in Wimbledon.“

Gauff spielt, das ist der besondere Appeal, mit einer Reife und Abgeklärtheit, als wäre sie hier die Titelverteidigerin. Oder eine, die schon seit vielen Jahren im Konzert der Großen eine tonangebende Position hätte. Als sie in der dritten Runde zwei Matchbälle abwehrte, verfiel sie nie in Panik oder Hektik, sondern zeigte die Klasse eines Champions. Sie ging volles Risiko, alles oder nichts, drehte langsam, aber sicher die ganze Partie um  – und wurde noch belohnt mit dem Ticket fürs Achtelfinale. Am Manic Monday, an dem alle Partien der letzten 16 bei Herren und Frauen ausgetragen werden, spielt sie nun gegen die frühere Weltranglisten-Erste und Grand Slam-Championesse Simona Help (Rumänien). Sie wird, wie immer, mit der Devise ins Spiel gehen: „Ich kann gegen jede gewinnen.“

von Jörg Allmeroth

Sonntag
07.07.2019, 11:52 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.07.2019, 09:38 Uhr