Wolfgang Thiem - „Für Dominic war der Orange-Bowl-Titel extrem wichtig“

Trainervater Wolfgang Thiem im großen tennisnet-Interview über die Bedeutung der Orange Bowl, den österreichischen Tennis-Nachwuchs und die Auswirkungen der Corona-Krise auf seinen Sohn Dominic und die tennisbegeisterte Jugend.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 11.12.2020, 18:10 Uhr

Wolfgang Thiem sieht zuversichtlich in die österreichische Tenniszukunft
© Getty Images
Wolfgang Thiem sieht zuversichtlich in die österreichische Tenniszukunft

tennisnet: Herr Thiem. In dieser Woche findet in Florida traditionell die Orange Bowl statt. Welche Bedeutung hat dieses Event im Bereich des Nachwuchstennis?

Thiem: Die Orange Bowl ist sicherlich eines der bedeutenden Jugend-Turniere, neben den Les Petits As in Tarbes im U14-Bereich und ein paar U16-Events, die weltweit Spieler anlocken. Ich würde aber einen Sieg bei der Orange Bowl mit einem Erfolg bei einem Grand-Slam-Turnier gleichstellen. Hinsichtlich des Stellenwertes, auch des Interesses von Sponsoren, sind die Grand Slams vielleicht weiter oben anzusiedeln.

tennisnet: Ihr Sohn Dominic hat den Titel vor neun Jahren geholt. Welchen Einfluss hat das auf seine Karriere gehabt?

Thiem: Für Dominic war es 2011 extrem wichtig, die Orange Bowl zu gewinnen. Weil dieses Turnier nunmal so wichtig und prestigeträchtig ist. Und wenn man sich die Siegerliste ansieht, von Federer über Roddick bis heute, dann sieht man: Der Großteil der Spitzenspieler ist dort auch angetreten. Ebenso traditionsreich ist das Eddie Herr Turnier, das in diesem Jahr nicht veranstaltet wurde. Auch dort hat Dominic gewonnen, zunächst als Jahrgangsjüngerer. Und danach eben die Orange Bowl.

tennisnet: Marko Andrejic führt die österreichische Jugend-Rangliste an. Wie man weiß, kümmern Sie sich auch um ihn. Wo steht er gerade?

"Bei der Orange Bowl spielen nur die Besten"

Thiem: Marko ist voll in unser Team integriert. Wir haben uns entschlossen, ihn zu unterstützen und das machen wir auch. Ich bin mit seiner Entwicklung grundsätzlich zufrieden, auch wenn dieses Jahr schwierig war. Es hat leider nur wenige Turniere gegeben. Marko war in Australien dabei, hat dort die Vorbereitung mitgemacht. Das geht in diesem Jahr nicht, weil in Australien 2021 kein Junioren-Wettbewerb gespielt wird. Marko steht im Moment so um die 40 in der ITF-Weltrangliste, er kann die großen Turniere also spielen.

tennisnet: In Florida kam das Aus schon in Runde eins.

Thiem: Bei der Orange Bowl trifft man nur die Besten. Marko ist gegen einen Franzosen drangekommen, wir wissen, dass die alle Tennis spielen können. War eine knappe Partie, er hat seine Chancen gehabt, den ersten Satz leider im Tiebreak verloren. Aber so ist das halt. Marko ist nicht ganz vorne dabei. Es gibt ein paar 2003er, die schon sehr weit sind, wie etwa ein Holger Rune, der vor kurzem ein Future in Antalya gewonnen hat.

tennisnet: Ein anderer Österreicher, Lukas Neumayer, hat in diesem Jahr das Viertelfinale bei den Junioren in Roland Garros erreicht und ist an Position drei gesetzt in die Orange Bowl gegangen. Hat aber ebenfalls sein erstes Match verloren. Wo sehen Sie ihn?

Thiem: Neumayer hat im Sommer gut gespielt, auch bei den Generali Austrian Pro Series. Dort hat er ja Jürgen Melzer geschlagen. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass wir da wieder mit zwei Spielern vertreten waren. Das muss der Anspruch des Österreichischen Tennisverbandes sein, auch bei den Grand-Slam-Turnieren.

tennisnet: Welche Aufgabe fällt in Sachen Orange Bowl dem Verband zu? Gibt es Unterstützungen? Und: Würden Sie ein Kind eher mit BetreuerIn oder den Eltern hinschicken?

Thiem: Es gab immer wieder Entsendungen durch den ÖTV. Da wurde die Reise zum Orange Bowl gesponsert. In diesem Jahr war das anders. Grundsätzlich sollten da schon eher Betreuer als Eltern mitfahren. Sofern die Eltern nicht selbst Tennistrainer sind. Die Reise ist ja doch zwei, drei Wochen lang, da muss man sich vor Ort auch vorbereiten. Wenn man ein Turnier in einem Nachbarland spielt, fährt man hin, spielt ein Match, und fährt, wenn man verliert, gleich wieder nach Hause. Wenn man gewinnt, gibt es am nächsten Tag noch ein Match. Da ist es nicht so schlimm, wenn da mal die Oma mit dem Kind hinfährt.

tennisnet: Wie sieht es in Österreich mit der nächsten Generation an jungen Spielern aus?

Thiem: Wir haben in Österreich Talente, keine Frage. Ich sehe bei uns in der Akademie bei den 2005er-Burschen ganz gute Perspektiven, etwa bei Manuel Lazic. Auch den Patrick Jozwicki sehe ich da relativ weit vorne, auch international. Das sind Kandidaten, die in zwei bei der Orange Bowl mitspielen können. Auch Paul Werren, Jahrgang 2004, zeigt gute Leistungen.

"Für die breite Masse ist der Lockdown eine Katastrophe"

tennisnet: Was würden Sie als die spielerische Grundvoraussetzung ansehen, um wirklich zur Orange Bowl reisen zu können?

Thiem: Man sollte in Europa im U14- und U16-Bereich vorne mitspielen können. Es ist eine riesige Erfahrung, egal, ob man eine Runde gewinnt oder nicht. Aber das Level, auf Augenhöhe agieren zu können, sollte man schon haben. Es ist nicht so, dass beim Erreichen des Halbfinales, Finales oder sogar des Sieges bei der Orange Bowl auf jeden Fall steil nach oben geht. Bei der U18 reguliert sich das Feld aber ohnehin von selbst, weil man spätestens dann ein ITF-Ranking haben muss.

tennisnet: In Köln hat vor kurzem Platzbauer Andreas Kemmerer von ihrem Belag in der Akademie in Traiskirchen geschwärmt, den sein Unternehmen verlegt hat. Haben Sie schon erste Erfahrungswerte?

Thiem: Mit dem Boden sind wir super zufrieden. Der ist in drei Schichten und kommt von der Dämpfung fast an einen Sandplatz heran. Das war mir sehr wichtig, vor allem, wenn es in Richtung Profis geht. Dass wir etwa mit Dominic auch gelenkschonend arbeiten können.

tennisnet: Worin sehen Sie die Auswirkungen des Lockdowns, vor allem des Verbots, in der Halle Tennis zu spielen, für den österreichischen Tennissport?

Thiem: Wir sind zum Glück fast verschont geblieben, weil wir hier in Traiskirchen trainieren dürfen. Nicht nur die Profis, sondern auch die Jugendlichen, die alle in diesem Korridor sind, der es ihnen ermöglicht. Für die breite Masse ist die Situation natürlich eine Katastrophe. Bei Kindern, die noch nicht so weit sind und noch keine Turniere spielen, könnte das natürlich dazu führen, dass der Faden komplett abreißt. Und dass wir diese Kinder dann für unseren Sport verlieren. Das ist sehr schade. Im Profibereich sind wir, wie erwähnt, in Sachen Training recht unbeschadet davongekommen, bei den Turnieren schaut es natürlich ganz anders aus. Das ist eine Katastrophe.

tennisnet: Was können Sie uns zu den aktuellen Trainingsplanungen von Dominic erzählen?

Thiem: Dominic fängt in diesen Tagen an zu trainieren, zunächst einmal ein, zwei Wochen lang mit Dr. Mike Reinprecht an seiner Kondition, den Grundlagen arbeiten. Vermehrt mit dem Tennisspielen werden wir in der letzten Dezemberwoche anfangen. Nachdem wir noch nicht genau wissen, wann, wo und wie es genau weitergeht, ist eine Planung schwierig. Wenn es Australien mit Anfang Februar wird, dann haben wir für die Planung viel Zeit.

tennisnet: In den letzten Jahren hat sich Dominic oft auf Teneriffa vorbereitet, mit internationaler Beteiligung, etwa von David Goffin oder Jan-Lennard Struff. Wie sieht es in diesem Jahr mit Trainingspartnern aus?

Thiem: Wir sind mit Dominic, Dennis Novak, Sebastian Ofner und Jurij Rodionov sehr gut aufgestellt. Wenn es wirklich nach Australien geht, wird Dominic noch zwei Wochen Zeit haben, um mit anderen Spielern zu trainieren. Das haben wir im letzten Jahr auch so gemacht. Und es hat sich bewährt.

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