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French Open: Als Andre Agassi sich ohne Unterhose zum Paris-Titel kämpfte

Andre Agassi war der erste Spieler seit Rod Laver, der 1999 mit dem French-Open-Sieg den "Career-Grand-Slam" vervollständigte. Dabei war sein Sieg In Roland Garros alles andere als zu erwarten.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 06.06.2020, 14:01 Uhr

Andre Agassi
Andre Agassi

Brad Gilbert war also mal wieder dran schuld. Der "Winning ugly"-Experte war und ist in der Szene bekannt als jemand, der immer etwas zu erzählen hat. Und der das meist auch tut. Agassi hatte auf Gilberts Ausführungen jedoch keine Lust mehr. Agassi hatte sich im Frühjahr 1999 an der Schulter verletzt, und die Aufgaben an seinen Coach waren nunmehr eindeutig formuliert: Gilbert solle auf dem Zwölf-Stunden-Flug zurück in die USA die Klappe halten, "und wenn wir landen, wirst du mich als Allererstes bei den French Open abmelden", erinnert sich Agassi in seiner Autobiografie Open./

Gilbert tat nichts davon. Zunächst redete er zwei Stunden auf Agassi ein, dann chauffierte er ihn zur Erholung in sein Gästehaus in San Francisco. "Und dann fliegen wir beide nach Paris, und du wirst dort spielen. Es ist der einzige Grand-Slam-Titel, der dir noch fehlt. Du wolltest ihn immer haben, aber wenn du nicht spielst, kannst du ihn auch nicht gewinnen."

Agassi und die French Open - es war bis dato kompliziert. 1990 hatte er im Finale unerwartet gegen Andres Gomez verloren und dabei mehr mit seinem Toupet zu kämpfen gehabt als mit seinem Gegner, 1991 setzte es eine Endspielniederlage gegen Jim Courier. Und 1995, in Topform, hatte er sich verletzt. Dabei war der Titel in Paris der letzte große, der ihm noch fehlte - nach den Siegen in Wimbledon (1992), den US Open (1994) und den Australian Open (1995).

Agassi und Gilbert zoffen sich in der Umkleide

Der Weg in 1999 sollte kein leichter sein. Runde 1 gegen Franco Squillari, ein Wühler, und zu allem Unglück hat Agassi seine Unterhose vergessen. Das Angebot von Gilbert, ihm seine zu leihen, schlägt er dankend aus. "So dringend kann ich überhaupt nicht gewinnen wollen." Agassi siegt (ohne Unterhose), in Runde 2 dreht er einen 1:2-Satzrückstand gegen Arnaud Clément,  dann gewinnt er glatt gegen Chris Woodruff, im Anschluss in vier Sätzen gegen Titelverteidiger Carlos Moya, dann gegen Marcelo Fillippini, im Halbfinale gegen Dominik Hrbaty.

Im Endspiel trifft Agassi auf Andrej Medvedev, der eine Krise durchlebt hat und dem Agassi bei einem Treffen in Monte Carlo wieder Mut zugesprochen hatte. Als es losgeht, ist Agassi nervös ohne Ende, nach 19 Minuten steht es 1:6. Im zweiten Satz kommt der Regen, und Agassi jammert in der Umkleide zu Coach Gilbert: "Er ist einfach zu gut." Und Gilbert? Sagt nichts. Was Agassi aufregt. "Willst du mich verarschen? Du suchst dir diesen Moment aus, ausgerechnet diesen einen, um nichts zu sagen? Von allen möglichen Gelegenheiten ist das jetzt der Moment, wo du endlich mal den Mund hältst?" Doch Gilbert brüllt zurück. "Brad, der nie irgendjemandem gegenüber die Stimme erhebt, fährt aus der Haut", erinnert sich Agassi. Medvedev sei zu gut? Woher er das wissen wolle? "Du bist so was von konfus auf dem Platz und blind vor Panik, dass es mich wundert, dass du ihn überhaupt siehst." Er solle endlich nach seinen Regeln spielen. Und wenn er nicht wisse, wohin, dann einfach dorthin, wo Medvedev hinschlage, nur ein bisschen besser.

Die Geburtsstunde der Agassi-Luftküsse

Agassi verliert jedoch auch Satz drei, beim 4:4 im dritten Durchgang fabriziert er beim 30:15 zwei Doppelfehler. Und auch der nächste Aufschlag, bei Breakball Medvedev, landet im Aus. Es ist die entscheidende Szene im Match. Medvedev erwartet nun - nach fünf Aufschlagfehlern Agassis - einen Einwurf, aber Agassi ist mutig, serviert einen starken zweiten Aufschlag, greift an und gewinnt den Punkt am Netz. Dann holt er den Satz.

Es geht über die Distanz, und Agassi trifft plötzlich, hat schließlich Matchball. "Ich servierte noch einen brandheißen Aufschlag, und als Medvedev zur Seite geht und halbherzig ausholt, bin ich der zweite Mensch, der weiß, dass ich die French Open gewonnen habe. Brad ist der erste, Medvedev der dritte. Der Ball landet weit hinter der Grundlinie. Zuzusehen, wie er dort aufschlägt, ist einer der großartigsten Momente meines Lebens."

Nach seinem Triumph verteilt Agassi Luftküsse in alle Richtungen - eine Geste, die er nun immer beim Verlassen eines Tennisplatzes ausüben sollte, egal ob er nach seiner Niederlage oder nach einem Sieg.

Und noch ein Ritual sollte Agassi beibehalten: Tennis ohne Unterhose. Denn: "Ein funktionierendes System soll man nicht ändern.

von Florian Goosmann

Samstag
06.06.2020, 16:14 Uhr
zuletzt bearbeitet: 06.06.2020, 14:01 Uhr