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Leben im Moment, im Hier, im Jetzt: Lernen von Laura Siegemund

Laura Siegemund will den Moment genießen - eine der schwierigsten Aufgaben im Leben. Wie macht sie das?

von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet: 06.07.2025, 10:49 Uhr

Laura Siegemund
© Jürgen Hasenkopf
Laura Siegemund

Sorge dich nicht - lebe: Es ist ein Buch-Klassiker. Dale Carnegie vermittelt hierin auf 416 Seiten, dass man sich nicht so viel sorgen soll, dafür aber mehr leben. 

Noch so eins: Leben im Jetzt von Eckart Tolle. Der gibt auf überschaubaren 160 Seiten mit, man solle im Jetzt leben. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Im Jetzt, Freunde der Sonne!

Es ist alles leicht gesagt. Und ja ja, ertappt, die Schmöker stehen natürlich im eigenen Buchregal, sind halb gelesen, in der Vergangenheit, man sollte sie in Zukunft regelmäßig auspacken; nur, und nun kommt die bittere Ironie: Jetzt geht's nicht, man ist ja in Wimbledon.

Die Krux daran überhaupt: Die Bücher lesen, ist leicht. Das Geschriebene umzusetzen: schwierig. Besser gesagt: Es ist ordentlich Arbeit. 

Laura Siegemund scheint diese entweder hinter sich zu haben - oder sich das Leben im Jetzt anderweitig draufgeschafft zu haben. Womöglich auch im Rahmen ihres Psychologie-Studiums. Zudem weilt sie ja selbst unter Buchautoren: Wild Card: Herausforderungen mental meistern, heißt ihr Werk. 

Lernen von Laura, auch fürs Leben

Von Carnegie, Tolle und Siegemund jedenfalls kann man lernen. Und weil das Leben ein Tennismatch ist, darf man vieles direkt vom Court auf den Alltag übertragen. 

“Im Tennis ist es so, dass du, im Kleinen wie im Großen, viel zu wenig Zeit hast, einfach mal kurz den Moment zu genießen”, sagte Siegemund dieser Tage, angesprochen auf ihre in Pressekreisen mittlerweile bekannte Bitte, sie nicht direkt nach Matchende auf die kommende Gegnerin anzusprechen. Denn: Kaum habe man den Matchball verwandelt, freue sich, sei stolz - schon gehe es um die nächste Runde. “Die interessiert mich in diesem Moment absolut null.” Weil sie es sich gönne, einen Sieg zu feiern. Bei sich zu sein. Denn es sei doch so: Sobald man den Namen der nächsten Gegnerin höre, starte das Gedankenkarrussell (Siegemund: “die Mühle”). “Diese Gefühle brauche ich in diesem Moment nicht.” Ihr reiche es generell, erst später am Tag oder am nächsten davon zu wissen. “Zum Vorbereiten ist dann noch viel Zeit.” Daher ihre stete Bitte an Reporter vor Ort: “Bitte sag's mir nicht. Ich möchte mal eine Sekunde genießen.”

“Was interessiert mich mein Ast?”

Siegemunds Einstellung geht damit völlig konträr zu den Spielchen, die wir Tennisfans so gerne durchziehen vorm Turnier: sich das Draw anschauen, mögliche Duelle in Runde 2, 3, 4, potenzielle Halbfinals und Finals falsch vorherzusagen. Nichts für Siegemund.

“Ich lasse mir sagen, wer die nächste Gegnerin an”, sagt sie. Mehr nicht. “Ich gucke nie aufs Draw. Was interessiert mich mein Ast?” Ein Tableau könne gut oder beängstigend aussehen, und am Ende spiele das doch keine Rolle. “Es ist so, dass du die nächste Gegnerin an diesem Tag schlagen musst. Nicht die zehn Male zuvor, sondern heute, unter diesen Bedingungen.” Und die seien immer unterschiedlich, an manchen Tagen klappe dieses oder jenes - oder auch nicht. "Aber dann muss man Lösungen bringen, gegen diese Person. Das ist Tennis.” 

Und, wir fügen es mal selbst an: Das ist das Leben.

Siegemund sagt, sie wolle sich die Freiheit nehmen, im Moment sein zu können. Je mehr man wisse, umso schwieriger sei es, im Moment zu bleiben. "Was interessiert es mich beim 5:5 im dritten Satz die nächste Gegnerin? Da möchte ich nur in dem Moment sein, und das muss man auch, um in diesem Moment gut zu spielen.” 

Ihr System funktioniere gut, sagt sie.

von Florian Goosmann aus Wimbledon

Sonntag
06.07.2025, 09:49 Uhr
zuletzt bearbeitet: 06.07.2025, 10:49 Uhr