Novak Djokovic: Dauersieger und Mann der Kontroversen als Favorit bei ATP Finals
Novak Djokovic hat sich rar gemacht zuletzt - aber dafür ausgeruht beim Paris Masters gesiegt. Bei den ATP Finals ist er der große Favorit, auch wenn er das Jahresabschlussturnier 2015 nicht mehr gewonnen hat.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
15.11.2021, 06:03 Uhr

Auf dem obligatorischen Gruppenfoto der acht Besten wirkt der Allerbeste fast ein wenig zierlich. Eingerahmt von Riesen wie Daniil Medvedev, Matteo Berrettini oder Alexander Zverev erscheint Novak Djokovic wie ein Greenhorn zu Besuch bei der Tennis-WM.
Djokovic ist es allerdings gewohnt, dass sich die Gegenspieler und Beobachter in ihm täuschen. An die Rolle, die er in seinem Sport jetzt und hier und im letzten Jahrzehnt spielte, hat niemand geglaubt. Djokovic hat Hierarchien zerstört, die alten Titanen Roger Federer und Rafael Nadal von ihren Herrschaftspositionen verdrängt und ganz nebenbei als zunehmend unangefochtener Nummer eins-Spieler viele Karriereträume der Konkurrenz zerplatzen lassen.
Und daran hat sich bis in den November 2021 nichts verändert, ganz im Gegenteil: In der zweiten Corona-Saison entfaltete der 34-jährige einen Absolutismus auf den Centre Courts, den man im modernen Tennis fast schon für erledigt gehalten hatte. Djokovic siegte oft, sehr oft. So ist er bei der ATP-WM in Turin nun auch wie selbstverständlich der Mann, über den sich die meist zehn Jahre jüngeren Herausforderer definieren müssen, auch der junge norwegische WM-Neuling Casper Ruud am Montag im ersten Gruppenspiel (ab 14 Uhr).
Djokovic kritisiert "Propaganda der Eliten"
Eins allerdings hat sich auch nicht verändert beim Schlussturnier des Wanderzirkus, am Ende komplizierter Monate für die Branche: Die zwiegespaltene Wahrnehmung des sogenannten Capitano Djokovic, die problematische Führungsrolle, die er in einer Krisenära auch fürs seine Profession ausübt.
Einerseits lebt das Tourtennis auch in der Pandemie von seiner Mobilität rund um den Erdball, von vielen erheblichen Zugeständnissen von Behörden und Turnierveranstaltern. Doch andererseits schwingt sich Djokovic, die Zentralfigur im Tennis-Universum, regelmäßig zum Lautsprecher eines Verschwörungs-Geraunes auf und verbreitet gezielt antiwissenschaftliche Thesen. Seit Wochen umgibt den Weltranglisten-Ersten eine hitzige Diskussion um seinen Impfstatus und die Frage, ob er als potenziell Ungeimpfter auf den Start im regelharten Australien im Januar verzichten muss.
Viele wünschten sich Djokovic als Anführer einer Impfkampagne und nicht als Skeptiker, der gern esoterischen Einflüsterungen nachgibt. Beinahe ein wenig kurios wirkte es jüngst, dass Djokovic, der Mann, der auch von den Medien nur zu gerne geliebt werden möchte, jenen Medien vorwarf, sie bedienten „die Propaganda der Eliten“. Djokovic fügte dann noch in einem Anflug von falschem Stolz hinzu, dass er seit Jahren keine Zeitungen mehr lese und keine Nachrichten verfolge.
Djokovic als GOAT?
Djokovic wird seine Karriere irgendwann als nicht beliebtester, aber erfolgreichster Spieler aller Zeiten beenden. Schon jetzt hat er 20 Grand Slam-Titel eingesammelt, genau so viele wie Federer und Nadal. Er wird diese Saison 2021 als Nummer eins abschließen, sieben Mal führt die Weltrangliste ihn zum Jahresultimo damit als Anführer der Tennisnomaden. Blickt man in seine Karrierebilanz, tauchen an allen Ecken und Enden Rekorde, Rekorde, Rekorde auf. Genau das war auch Djokovics Ziel, seine Religion: Die Bestenlisten zu pulverisieren, seinen Namen an der Spitze zu verewigen. Seine Afficionados nennen ihn schon seit Jahr und Tag den GOAT, den „Greatest of all times“ – dabei ist diese Debatte müßig und langweilig. Wer kann schon Djokovic mit Rod Laver oder Federer mit Roy Emerson vergleichen?
Djokovic, der einst selbst die eher unwahrscheinliche Umwälzung in der Tennisszene als Störenfried von Federer und Nadal einleitete, wird auf der Zielgeraden seiner Karriere nun eine zentrale Aufgabe festgemacht haben: Den Ansturm der Jüngeren und sehr Jungen so weit wie möglich zu bremsen und selbst noch ein ordentliches Polster an Erfolgen anzuhäufen. In diesem Jahr war der Serbe nach drei Major-Triumphen in Melbourne, Paris und Wimbledon schon nahe dran, den Kalender-Grand-Slam zu gewinnen und sich mit 21 Toptiteln vor Federer und Nadal zu setzen – die beiden ehemaligen Platzhirsche kommen bislang wie Djokovic selbst auf jeweils 20 Titel. Gegenwärtig steht allein Djokovic dem vollständigen Generationswechsel im Welttennis im Weg – niemand weiß, in welcher Verfassung und mit welcher Intensität das alte Führungsduo Federer/Nadal jemals auf die Spiel-Plätze zurückkehren wird.
Nach den beiden einzigen signifikanten Niederlagen des Jahres – bei den Olympischen Spielen im Halbfinale gegen Zverev und im US Open-Endspiel gegen Medvedev – wirkte Djokovic bei seinem Masters-Sieg jüngst in Paris frisch, ausgeruht und entspannt. Der lähmende Druck, der seinen verkorksten New Yorker Abschied charakterisierte, war gewichen. Der Sieg unterm Hallendach war auch eine Kampfansage an die Rivalen, die vielleicht auf länger währende Schwächemomente gehofft hatten. Kein Zweifel: Der Nummer eins-Mann will auch bei der WM das Maß der Dinge sein, der Spieler, der das letzte, machtvolle Wort im Jahr 2021 hat. So wie fast immer.