WTA Linz hinter den Kulissen: „Gefahr“ aus Asien und Last-Minute-Unterschriften
Die Rolle der Turnierdirektorin hat Sandra Reichel beim WTA-Turnier in Linz in diesem Jahr bereits zum 15. Mal inne. Die ehemalige Top-500-Spielerin im Einzel zerbricht sich mehrere Monate im Jahr den Kopf über ein attraktives Starterfeld, fürchtet Konkurrenz aus Asien und gibt einen Einblick in dramatische Last-Minute-Nennungen.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
11.10.2019, 17:22 Uhr

„Es war irre, auf Messers Schneide“, sagt Sandra Reichel und lächelt, wenn sie an die stressige Situation von vor einer Woche denkt. Mit Petra Kvitova, der aktuellen Nummer sieben der Welt, kam der Welserin wenige Tage vor dem Turnierstart der Upper Austria Ladies Linz die topgesetzte Spielerin abhanden. Die Tschechin hat sich ihren Platz bei den WTA Finals in Shenzhen schon vor dem größten österreichischen Damen-Turnier des Jahres fixiert und zog daher zurück.
Doch die erfahrene Reichel hatte sich bereits einen Ersatzplan zurecht gelegt. Obwohl ein WTA-International-Turnier wie jenes in Linz lediglich eine Top-10-Spielerin aufweisen darf, stand sie in Verhandlungen mit Kiki Bertens (WTA Nr. 8). „Ihr Management kontaktierte mich mit dem Wunsch, in Linz zu spielen – sollte Kvitova zurückziehen“, erklärt Reichel gegenüber tennisnet.
Der Fall trat ein, und plötzlich wurde es hektisch.
Bereits eine halbe Stunde nachdem Reichel die Absage Kvitovas erreichte, verstrich die offizielle Nennfrist der WTA. Es musste schnell gehen.
Bertens aber bestritt zur gleichen Zeit in Peking ein erfolgreiches Premier-Mandatory-Turnier, erreichte dort wenige Tage später das Halbfinale. „Sie musste aber persönlich ein Formular unterschreiben, dass sie eine Wildcard wahrnimmt“, sagt Reichel, die von Österreich aus hoffte, dass Bertens’ Management in Peking den Telefonhörer abnahm. „Es war dort schon 22 Uhr, ich wusste nicht, ob sie überhaupt erreichbar sind. Umso schöner, dass alles glattging.“ Bertens meldete sich, Reichel bekam die nötige Unterschrift und binnen einer halben Stunde eine neue Nummer eins des Turniers.

WTA Linz - Konkurrenz aus Asien: „Das ist die Gefahr“
„Ich bin ruhig geblieben, da ich das schon so oft erlebt habe. Die Kontakte sind ganz wichtig“, erklärt Reichel. Der ständige Austausch über das gesamte Kalenderjahr mit Spielerinnen-Agenten, Trainern oder Eltern sei entscheidend, um sich zum Höhepunkt auf die Zusagen verlassen zu können.
„Kurz vor dem Turnier frage ich mich oft: Warum tue ich mir das überhaupt an?“, gibt Reichel zu. Schon Monate vor dem Turnier bemühe sie sich um die Zusage von Top-Spielerinnen. Ständig sind Sorgen von Absagen, Verletzungen oder anderen Überraschungen präsent. „Es wird immer schwieriger, vor allem mit der Konkurrenz aus Asien. Dort gibt es deutlich höhere Antrittsgelder. Das ist die Gefahr“, sagt Reichel.
Sie hoffe, dass für einzelne Spielerinnen mehr als nur die Antrittsprämie zählt, „Leistungen abseits des Platzes“ sich bezahlt machen. Der späte Termin im Tennisjahr ist Fluch und Segen zugleich: Einzelne Spielerinnen benötigen Punkte für die Qualifikation zum Jahresendturnier, andere verzichten nach einer langen Saison auf ein zusätzliches Turnier. „So richtig planen kannst du das nicht“, meint Reichel. „Deshalb muss die Marke des Turniers rundherum stark sein, um weniger abhängig von den Spielerinnen zu sein.“
Linz profitiert von Hong-Kong-Absage
Sie biete etwa für Spielerinnen einzelne „Rookie Hours“ an. Dabei wird sie von Jungprofis für ein paar Stunden begleitet, um ihnen einen Blick in die Arbeit der Turnierdirektion zu geben. „Dabei erkennen Spielerinnen, dass Aktivitäten wie die Player’s Night dazu führen, dass man die eigene Marke stärkt, was zu mehr Fans führt. Das darf man nicht unterschätzen.“
Dass im diesen Jahr der ursprüngliche Cut-Off in der Qualifikation gar bei 112 lag – ein sensationell guter Wert für ein kleineres Turnier wie jenes in Linz – lag auch an der kurzfristigen Absage des Events in Hong Kong. Aufgrund der prekären politischen Lage und anhaltender Proteste der Bevölkerung wurde das Event ersatzlos aus dem Kalender gestrichen.
Die wahren Vorteile für Linz kann Reichel „nicht wirklich einschätzen“. Sie wisse lediglich, dass Belinda Bencic dort gespielt hätte. „Vielleicht gibt es noch ein, zwei weitere Spielerinnen. Abgesehen davon hatten wir schon davor ein starkes Feld“, freut sich Reichel, die die kurzfristigen Absagen von Maria Sharapova, Kvitova, Anastasia Sevastova oder Vorjahressiegerin Camila Giorgi zur Kenntnis nehmen musste.
Dafür freue sie sich über andere Geschichten, die dieses Turnier schreibt. Etwa jene von Cori Gauff, die mit ihrem Erfolgslauf als Lucky Loserin ins Viertelfinale in die Top-100 der Weltrangliste einzog. „Sie ist ein Wahnsinn. Ich freue mich sehr für sie.“ Zudem freue sie sich über das professionelle Auftreten ihrer Spielerinnen. „Das ist für das Turnier deshalb wichtig, weil das von Sponsoren und Fans geschätzt wird.“