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DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff: „Die Gesundheit ist wichtiger als die Rangliste“

Dirk Hordorff über die aktuelle Lage im Tennis in Zeiten des Coronavirus, Verdienstausfälle der Spieler und mögliche Veränderungen beim Davis Cup.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 14.03.2020, 13:33 Uhr

Dirk Hordorff ist mit der ITF nicht glücklich
© Jürgen Hasenkopf
Dirk Hordorff

Dirk Hordorff, 63, ist seit dem Jahr 2014 der Vize-Präsident des Deutschen Tennis Bundes, zuvor war er langjähriger Landesverbandspräsident in Hessen. Als Coach auf der ATP-Tour betreute er unter anderem den deutschen Spitzenspieler Rainer Schüttler während dessen gesamter Profi-Laufbahn.

Herr Hordorff, die ATP-, WTA- und ITF-Tour sind die kommenden Wochen stillgelegt – die einzig richtige Entscheidung aus Ihrer Sicht?

Die heutige Nachrichtenlage zeigt aus meiner Sicht klar, dass diese Entscheidung unumgänglich war. Nicht nur die Reisebeschränkungen in einzelne Länder geben Grund bei einer auf der ganzen Welt durchgeführten Sportart wie Tennis. Es geht insbesondere um die Gesundheit sowohl der Spieler, wie aber auch aller mit dem Sport involvierten Personen. Ballkinder, Linienrichter, freiwillige Helfer, Zuschauer – alle müssen geschützt werden. Von daher hat die ATP die einzig richtige Entscheidung getroffen, auch wenn sie vielen weh tut. Die ITF und Tennis Europe haben schnell nachgezogen. Das war richtig und verantwortungsvoll.

Für die Spieler fallen nicht nur Spielmöglichkeiten weg, sondern vor allem Einnahmen, die insbesondere Akteure ab Platz 100 hart treffen. Und andere Beteiligte, wie Trainer oder Physiotherapeuten. Gibt es eine Art Versicherung, über die Spieler abgesichert sind?

Sofern der Spieler nicht selbstständig eine Absicherung getroffen hat – leider nein. Diese Krise betrifft nicht nur die Spieler, sondern fast jeden – jedes Unternehmen, fast durch alle Branchen hinweg. Und natürlich auch die im Tennis involvierten Akteure. Die Veranstalter verlieren viel Geld, genauso wie die Spieler. Aber auch jeder Tennistrainer, der heute keine Stunden mehr im Club geben kann und selbstständig arbeitet, ist betroffen.

Kann der DTB womöglich von Bundesseite Hilfsgelder erwarten, um sie an die im Tennis betroffenen Akteure weiterzuleiten?

Die Bundesregierung wird hier eine Abwägung treffen müssen, wie denen geholfen werden kann, die Hilfe benötigen. Auch der DTB ist finanziell betroffen, wird auf viele Einnahmen verzichten müssen. Trainer, Vereine, Verbände, alle werden Einbußen beklagen.

Mit dem Porsche Tennis Grand Prix fällt nun auch ein großes Turnier in Deutschland aus; auch hinter München steht ein großes Fragezeichen. Im Sommer steht zudem die deutsche Rasensaison mit Stuttgart, Berlin, Halle, Bad Homburg an. Gibt es hier Absicherungen für die Turniere?

Der Coronavirus ist für die Welt eine neue Herausforderung. Meistens gibt es keine Absicherung, denn so etwas gab es noch nicht. Wie gesagt, nicht nur im Tennis, aber natürlich auch im Tennis wird es wirtschaftliche Probleme geben, die nach der Krise gelöst werden müssen. Aber hier erleben wir eine neue Herausforderung, die wir gemeinsam lösen müssen. Aber wichtiger als die finanziellen Punkte, die mit Sicherheit wichtig sind, ist erst mal, die Gesundheit der Bevölkerung so gut wie möglich zu sichern. Da stehen die finanziellen Fragen an zweiter Stelle.

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Was sollte aus Ihrer Sicht mit den Weltranglistenpunkten passieren? Würde regulär im 52-Wochen-Rhythmus verrechnet werden, wären die Sandplatzspieler arg benachteiligt.

Auch hier gibt es keine faire und richtige Lösung. Die ATP arbeitet zur Zeit an einer Lösung und wird diese in den nächsten Wochen vorstellen. Heute wissen wir nicht, wie lange uns die Problematik beschäftigen wird. Handelt es sich um sechs Wochen, um drei Monate oder noch länger? Danach muss man auch die Antworten ausrichten. Ich war diese Woche in vier Telefon-Konferenzen, sowohl bei der ATP als auch beim DTB. All diese Thematiken sind Teil der Diskussionen. Bei der sich täglich neu ändernden Lage kann man heute keine finalen Entscheidungen treffen. Jeden Tag muss die Situation neu bewertet und die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Und immer mit dem Hauptaugenmerk der Gesundheit aller Beteiligten

In der vergangenen Woche wurde auch der Fed Cup im April abgesagt. Sollten die Olympischen Spiele im Sommer stattfinden, würden einige Spieler noch einen Einsatz brauchen, zum Beispiel Angelique Kerber. Diese Chance ist nun weggefallen. Wie ist hier der aktuelle Stand, welche Lösungen werden diskutiert?

Ohne hier irgendwelche Entscheidungen zu kennen, wird es allen möglich sein, ohne Fed-Cup-Qualifikation die Olympischen Spiele zu bestreiten, wenn es das Ranking zulässt. Man wird keinen Spieler bestrafen oder ausschließen. Es wäre ja lächerlich, wenn Angelique Kerber zum Beispiel nicht mitspielen könnte, weil sie nicht an einem Fed-Cup-Spiel teilgenommen hat, das es gar nicht gab.

Die Davis-Cup-Gruppen der Finalrunde wurden vor zwei Tagen ausgelost. Im Gespräch sind hierbei Vorrundenspiele in anderen Ländern und Städten. Wird sich der DTB aktiv um eine Austragung bewerben? München war ja zuletzt im Gespräch.

Erstmal ist das eine Idee, die noch nicht offiziell beschlossen ist. Zweitens bin ich skeptisch, ob das in 2020 möglich sein wird. Viele Hallen sind schon belegt. Und die jetzige Corona-Krise macht es fast unmöglich, hier eine vernünftige Planung zu machen oder Sponsoren zu finden. Die Welt hat zur Zeit andere Sorgen als Tennis-Veranstaltungen.

Wie kam es dazu, die Möglichkeit weiterer „Heimspiele“ für manche Nationen zu schaffen?

Der Erfolg des ATP Cups Anfang des Jahres mit drei Spielorten und einem Finalspielort sowie die Probleme mit dem Zeitplan 2019 beim Endturnier und das Zuschauer-Interesse hat die Kosmos-Gruppe zu neuen Überlegungen gebracht. Grundsätzlich wäre es begrüßenswert, wenn der Modus geändert würde. Der DTB hat die jetzt vorhandenen Probleme immer offen dargelegt. Ich bin überhaupt nicht glücklich, dass wir Recht hatten. Ein Erfolg des neuen Format wäre schön gewesen. Aber es ist besser, etwas zu ändern, was nicht funktioniert, als stur immer weiter in die falsche Richtung zu gehen. Aber auch diese Änderung löst die grundsätzlichen Fehler des neuen Formats nicht. An diesem Datum ohne Heim- und Auswärtsspiele ist der Davis Cup nur ein Turnier ohne Weltranglistenpunkte, und das zum falschen Zeitpunkt.

Eine letzte Frage zum Coronavirus, die Hobbyspieler betrifft: Der DTB hat seinen Landesverbänden Vorschläge unterbreitet, wie in bestimmten Bereichen fortgefahren werden soll; festgelegt wurde auch, dass in den kommenden Wochen keine LK-Punkte vergeben werden. Ist auch die Sommerrunde in Gefahr oder ist die Situation – da es sich um Freiluftspiele handelt – hier eine andere?

Der DTB hat entschieden, dass von Montag an bis zum 26.4.2020 weder Ergebnisse für die DTB-Rangliste, noch für die LK-Wertung vergeben werden. Das ist kein Vorschlag, sondern eine bundeseinheitliche Regelung - hiermit soll die Chancengleichheit für alle sicher gestellt werden. Viele Landesverbände haben auch schon richtig reagiert. Es ist jetzt nicht die Zeit, zu spekulieren, wie es im Sommer weitergeht. Aber wir alle sehen, dass wir zur Zeit aufmerksam die Situation aktuell bewerten müssen. Und wird werden in Absprache mit den Experten rechtzeitig weitere notwendigen Maßnahmen und Beschlüsse treffen und kommunizieren. Immer wieder mit dem Grundsatz: Die Gesundheit ist wichtiger als die Rangliste.

von Florian Goosmann

Samstag
14.03.2020, 17:32 Uhr
zuletzt bearbeitet: 14.03.2020, 13:33 Uhr