Interwetten-Vorstandssprecher Dominik Beier: „Wir werden als die Bösen dargestellt – das ist eine Doppelmoral“

Wie kann man das Problem des Wettbetrugs im Tennis auf Dauer lösen? Wir haben mit Interwetten-Vorstandssprecher Dominik Beier gesprochen.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 18.12.2019, 21:30 Uhr

Dominik Beier, Vorstandssprecher der Interwetten AG
© Interwetten
Dominik Beier, Vorstandssprecher der Interwetten AG

Mehr als 135 Tennisspieler sollen in einen Wettskandal involviert sein – das berichtete das ZDF in Zusammenarbeit mit der Welt. In Absprache mit Profis sollen massenweise kleinere Beträge auf manipulierte Spiele gesetzt worden sein. Wettanbieter werden bei Geschichten um Wettbetrug oft als das Problem dargestellt, allerdings ist einer großer Teil des Tennisbereichs von entsprechenden Einnahmen abhängig. „Der Markt der Wettfirmen ist groß – es wäre der falsche Weg, sie völlig auszuschließen“, sagt ATP-Board-Direktor Herwig Straka. Auch die ITF profitiert in großem Umfang von Kooperationen mit Wettanbietern: Sie erhält Zahlungen in Millionenhöhe, weil sie ihre Daten an das Schweizer Unternehmen Sportradar verkauft hat, welches insbesondere Livescores an Wettanbieter weitervermittelt. Wir haben mit Dominik Beier gesprochen – seit einem Jahr der Vorstandssprecher von Interwetten und zuvor sieben Jahre lang für Sportradar tätig.

Herr Beier, sobald das Thema „Wettbetrug“ aufkommt, stehen die Wettanbieter meist im Fokus. Sind sie die Bösen?

Dominik Beier: Für uns sind solche Meldungen auch ein Fluch. Weil wir ebenfalls Geschädigter sein könnten – wobei uns in diesem Fall keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind. Das höchste Gut ist für uns die Integrität. Wettbetrug darf kein Thema mehr sein. Wobei man sagen muss, dass es sich in den letzten Jahren gut entwickelt hat. Wenn man den Fußball anschaut: Da passiert immer weniger./

Was läuft im Tennis falsch?

Man muss im Tennis die Kommunikationsansätze verbessern. Und Spieler, die kein so hohes Einkommen haben, mehr unterstützen. Zum Beispiel über Solidaritätszahlungen. Ein Roger Federer würde es nicht spüren, wenn er 200.000 Euro weniger im Jahr verdient. Dieses Geld könnte man an Spieler aufteilen, die sich schwer tun, überhaupt ihre Reisekosten zu stemmen. So funktioniert ja auch unser Sozialsystem: dass die Reicheren den Ärmeren etwas abgeben. Man muss mit allen Beteiligen versuchen, das System zu verbessern. Wenn jedoch immer quer geschossen wird von Verbänden oder der ITF, dann ist das schwierig. ITF, ATP und WTA sind ja selbst seit Jahren unsicher, was sie tun sollen. Die Werbe-, Daten- und Streaminggelder nehmen sie gerne, aber das Geld kommt nicht bei den Spielern an.

Versuchen Sie als Wettanbieter, entsprechende Gespräche zu führen?

Alex Antonitsch (Kitzbühel-Turnierdirektor und tennisnet-Herausgeber, Anm. d Red.) zum Beispiel hat immer wieder versucht, uns in diese Gespräche zu involvieren. Aber seitens der ATP und ITF bestand bislang wenig Interesse. Dabei sitzen wir alle im selben Boot. Aber wir werden immer gerne als die Bösen hingestellt – das ist eine Doppelmoral. Ohne die Gelder von Wettanbietern würde sich viele Turniere schwer tun, über die Runden zu kommen.

Sie sagten zu Beginn, im Fußball habe sich die Lage verbessert. Was hat man dort verändert?

Zum einen sind die Kontrollsysteme besser geworden. Man sieht schneller, wenn es irgendwo Unregelmäßigkeiten gibt, was die Einsätze angeht. Dann schlagen Alarmsysteme an, die Spiele werden aus dem Programm genommen. Im Fußball gibt es ein Netzwerk an Wettanbietern, rund 400 Stück. Wenn üblicherweise 1.000 Euro auf ein Spiel gesetzt werden und es plötzlich 10.000 sind, läutet quasi ein Glöckchen.

Was noch?

Es wird viel für die Fort- und Weiterbildung getan. Die Spieler wurden von klein auf in den Akademien und Jugendmannschaften darauf vorbereitet, was passieren würde, wenn sie betrügen. Sie würden ihre Karriere aufs Spiel setzten, ihre Existenz. Und eine Straftat begehen. Zum Dritten ist das Einkommensniveau fast überall so hoch, dass die Versuchung nicht mehr so groß ist. Diese Kombination hat alles sehr eingeschränkt.

Die „Tennis Integrity Unit“ steht leider in keinem guten Licht. Der Argentinier Marco Trungelliti zum Beispiel sagte 2018 als Kronzeuge gegen Wettbetrüger aus, wurde im Anschluss von vielen angefeindet und von der TIU und ITF allein gelassen.

Es ist wie bei der Polizei. Wenn man gute Leute hat und ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, wird eine gute Polizei gut funktionieren. So ist es beim Thema Integrity auch. Man muss die richtigen Leute mit den richtigen Mitteln ausstatten. Aber das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Bei Tennisspielern, die aktuell 24 der 25 Jahre alt sind, wird es wohl schwierig, noch Achtsamkeit zu bilden. Man müsste früher damit anfangen, bei den 12- und 13-Jährigen. Und bei den Trainern. Das ist ein langfristiges Projekt.

Was würde passieren, wenn man Tenniswetten gänzlich untersagt?

Dann würde es dennoch irgendwo einen Markt geben. Verbietet man es einem lizenzierten Anbieter, wird es ein unseriöser Anbieter anbieten. Und illegaler Datentransfer ist in der heutigen digitalen Welt recht einfach. Man muss daher das Angebot so attraktiv wie möglich halten und in den legalen Markt kanalisieren. Es ist seit jeher im Glücksspiel- oder Sportwettenmarkt ein Problem, wenn man etwas einschränkt – denn dann entwickelt sich ein Schwarzmarkt. Und dann kann man es erst recht nicht kontrollieren. Sich dem Thema abzuwenden, macht das Problem noch schlimmer. Dann hat man gar keine Kontrolle mehr.

Turnieren ist es mitterweile untersagt, neue Verträge mit Wettanbietern abzuschließen.

Hier sind wir wieder beim Thema Konkurrenzfähigkeit. Wenn ein paar Hunderttausend Euro von Wettanbietern fehlen, werden sich vor allem die kleineren Turniere schwer damit tun, sich zu finanzieren. Die Größeren verdienen genug mit Zuschauer- und TV-Einnahmen, wobei auch sie hohe Beträge für Daten, Livestreams und sogenannte Betting-Rights erhalten. Auch TV-Rechte werden von Wettanbietern über Werbung finanziert. Letztlich würden die Großen überleben, die kleinen macht man damit kaputt. Die Turnierveranstalter tun mir diesbezüglich leid. Und es zeugt wieder mal von der Doppelmoral: Die ITF nimmt das Geld gerne, aber den Turnieren wird es vorenthalten. Eine Gesamtstrategie fehlt dem Tennis in diesem Bezug. Wenn man mit den Beteiligten durchsprechen würde – mit Spielern, Verbänden, Wettanbietern, Lieferanten der Industrie, Medien –, wie man die nächsten fünf oder sechs Jahren gemeinsam angehen will, wäre das ein gesamtheitlicher Ansatz.

Vergangene Woche machte ein Video die Runde, in dem ein Tennisanfänger ein 15.000er-Turnier spielte und keinen einzigen Punkt machte. Er hatte den Plan, dass gegen ihn gewettet wird. Wie am Dienstagabend bekannt wurde, will die ITF nun Wetten auf 15.000er-Turnier verbieten. Bringt das etwas?

Wie gesagt, es wird über unseriöse und illegale Anbieter dennoch einen Markt geben. Solch eine Aktion und Entscheidung ist daher meiner Meinung nach sehr fragwürdig und bekämpft den Ursprung des Problems nicht, sondern löscht temporär irgendwo nur ein kleines Feuer. Langfristig ist das für den Tennissport also eine Schnellschusshandlung und eine falsche Reaktion.

von Florian Goosmann

Mittwoch
18.12.2019, 17:34 Uhr
zuletzt bearbeitet: 18.12.2019, 21:30 Uhr