Zverev und die Aufschlag-"Yips": Was ist das - und wie fühlt es sich an?

Die "Aufschlag-Yips" - ein mittlerweile bekanntes Phänomen. Ist Alexander Zverev aktuell davon betroffen? Immerhin hat er zuletzt 20 Doppelfehler beim Aus in Cincinnati gegen Miomir Kecmanovic fabriziert. Ein Gastbeitrag eines tennisnet-Lesers, der ebenfalls von den "Yips" betroffen ist.

von einem tennisnet-Leser
zuletzt bearbeitet: 16.08.2019, 15:49 Uhr

Alexander Zverev
© Getty Images
Alexander Zverev

Keine Sorge - und Entschuldigung, falls ihr mit einem wissenschaftlichen Artikel gerechnet habt. Da ich weder Sportwissenschaftler noch Sportmotoriker bin, werde und kann ich euch nicht viel darüber erzählen, was mechanisch im Körper passiert. Ich denke, dass das nur wenige oder vielleicht niemand so richtig kann, da Lösungen des Problems um die "Yips" kaum vorhanden sind. Was ich euch ganz genau erzählen kann, ist, wie es sich anfühlt. Was in einem vorgeht und wie sich die über zig Tausende Mal geübte Bewegung dadurch verändert. Und warum kann ich das? Weil ich es selbst seit knapp 10 Jahren habe.

Nein, ich bin kein Vollprofi. Aber ich würde sagen, ich weiß worüber ich spreche. Ich wurde noch nie in der offiziellen Weltrangliste geführt, aber ich habe schon hohe nationale Preisgeldturniere gewonnen und arbeite nebenbei als Tennistrainer. Fangen wir jetzt aber mit den sogenannten Yips an.

Was passiert, wenn man die "Yips" hat?

Es ist einfach ein Dämon, der da in dir sitzt. Die meisten von euch da draußen, die es nicht haben, belächeln es. Sie können nicht verstehen, wie Alexander Zverev, die Nummer 6 der Weltrangliste, diesen verdammten zweiten Aufschlag nicht ins Feld spielen kann. (Ich werde überwiegend vom Aufschlag reden, aber es könnte durchaus jeder andere Schlag betroffen sein.) Aber die Schlaghand ist in dem kurzen Moment beim Treffpunkt nicht mehr Teil des Körpers. Man spürt seine Hand nicht mehr und kann die Bewegung nicht mehr kontrollieren. Die genauen Gefühle zu erklären, ist schwierig, aber ich versuche euch mal die Gedanken und Gefühle im Körper in den schlimmsten „Yips-Momenten“ teilhaben zu lassen.

Dein Herz pocht ganz stark vor Angst und Aufregung. Bevor du zum Aufschlag läufst, hast du nur eines im Kopf: „Bitte kein Doppelfehler!“ Und: „Hoffentlich sieht es keiner..." Deine Hand wird schwitzig und fängt an zu zittern. Du wirfst den Ball hoch und fällst quasi beim Treffpunkt in dir zusammen, weil die Körperspannung fehlt. Du führst die Bewegung ganz normal aus und tatsächlich erkennt es von außen auch niemand, da sich die Bewegung vermeintlich kaum verändert. Du hast keine Ahnung, ob der Ball ins Feld gehen wird oder nicht, da du ihn einfach nicht spürst in dem Moment. Nicht im Sinne von "gar keinen Kontakt spüren". Doch, den spürst du. Aber dir fehlt diese selbstverständliche Kontrolle und das Gefühl, den Ball dahin zu steuern, wohin du willst. Der Arm ist blockiert, du kannst nichts dagegen machen. Der Ball kann in die Mitte des Netzes gehen, oder noch schlimmer: sogar vorm Netz aufkommen (teilweise absurd als auch witzig mitanzusehen).

"Man spürt diesen verdammten Aufschlag nicht mehr!"

All das Beschriebene kann bei wenigen zweiten Aufschlägen in wichtigen Situationen im Match geschehen. Aber es kann sich auch soweit verschlimmern, dass man es fast bei jedem Aufschlag spürt. Das Herzrasen und das Zittern der Hand kommen nur im allerschlimmsten Falle vor. Der Gefühlsverlust beim Schlag kann dennoch bei fast jedem Aufschlag vorkommen.

Das Verrückteste und Paradoxe an der ganzen Sache ist, dass man es im Training so gut wie gar nicht hat. Nach ein paar Jahren mit dem Problem hat man es aber dennoch immer im Hinterkopf, gegebenenfalls sogar im Training. Die Yips treten nur in engen Trainingsmatch-Situationen auf, aber in der Regel nicht. Sobald man aber im echten Wettkampf steht und der zweite Aufschlag ins Feld MUSS, ist das Problem plötzlich wie von Geisterhand da und man spürt diesen verdammten Aufschlag nicht mehr. Das Gleiche kann auch bei der Vorhand oder jedem anderen Schlag passieren, nur da ist es teilweise leichter zu umgehen, da du damit das Spiel nicht eröffnen musst.

"Yips" entstehen oft beim schlechtesten Schlag

Mein eigener Ansatz dazu ist, dass es ein Mix aus psychologischen und physischen bzw. technischen Problemen ist. Beim Tennis entstehen die Yips zumeist beim schlechtesten Schlag des Spielers. Das hat zuerst einmal vordergründig technische Probleme. In Drucksituationen ist das normalerweise der Schlag, der zuerst einbricht. Die Angst vor genau diesem Schlag wird so groß, dass man ihn unbedingt vermeiden will. Durch die Ängste entsteht so ein Durcheinander im Kopf, dass man seinen Instinkten nicht mehr traut und die gelernte Bewegung komplett versagt. Eigentlich sollte man beim Ausführen des jeweiligen Schlages nicht mehr genau an den Ablauf denken, da er automatisiert ist. Aber in diesem Fall, überdenkt man die ganze Bewegung und dadurch wird die Bewegung gestört. Die Angst vor dem Versagen hemmt einen und lässt den Körper verkrampfen. Die Bewegung ist nicht mehr rund und somit entstehen die Yips.

Das Verrückteste und zugleich Sympathische an der ganzen Sache ist, dass sowohl die besten Profisportler der Welt betroffen sein können als auch der Hobbyspieler aus dem Dorfverein.

Man denke an Anna Kournikova und Sara Errani

Und nicht nur Tennis ist mit den Yips befallen. Es gibt wahrscheinlich unzählige Beispiele. Mir am bekanntesten sind Basketballer, Baseballer und Golfer. Im Tennis fallen mir spontan Zverev und Dimitrov bei den Herren ein und bei den Frauen Anna Kournikova und Sara Errani. Im Basketball der NBA-Spieler Markelle Fultz, Nummer-1-Pick des Drafts 2017, der teilweise keinen gerade Freiwurf mehr hinbekommen hat.

Gibt es eine Heilung? Ich glaube, zu 100 Prozent in den Griff bekommen es die wenigsten. Aber man kann lernen, damit umzugehen. Und das schafft man, indem man sich dem Problem stellt und nicht davor wegläuft. Das heißt, sich immer wieder der Situation gegenüberstellen, mutig sein und das Ganze nicht zu ernst nehmen. Denn im Endeffekt ist es nur ein Sport.

Was denkt ihr dazu? Habt ihr selbst ein Schlag, der von den Yips betroffen ist oder kennt ihr andere Spieler?

Zum Abschluss: Macht euch nicht zu sehr über die „Choker“ lustig. Wie ihr seht, kann es jeden jederzeit treffen ?

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander

von einem tennisnet-Leser

Freitag
16.08.2019, 15:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 16.08.2019, 15:49 Uhr

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander